Mülheim, den 11. Juni 2003An
Herrn Erivan Haub
Wissollstraße 5 - 43
45478 Mülheim
Sehr geehrter Herr Haub,
am kommenden Sonntag findet der traditionelle Tengelmann-Lauf statt mit Start, Ziel und Siegerehrung auf dem firmeneigenen Sportplatz direkt hinter der Süßwarenfabrik
Wissoll. Dieser Lauf hat langjährige Tradition und erfreut sich sehr großer Beteiligung. Er ist aus den bedeutenden jährlichen Ereignissen und dem sozialen Leben in unserer
Stadt nicht wegzudenken. Er zeigt aber auch die dankenswerte Verbundenheit Ihrer Familie und der Firma Tengelmann mit Ihrer und unserer Heimatstadt und dem Mülheimer Sport.
Genauso wenig wegzudenken ist allerdings auch die "Stammzelle" von Tengelmann, das Wissoll-Werk, das seit 136 Jahren zu Speldorf und Mülheim gehört wie Salz in die Suppe.
Mit Bestürzung mussten wir nun aus der Tagespresse erfahren, dass Wissoll verkauft und der Mülheimer Standort geschlossen und demontiert werden soll. Das würde zuallererst den
Verlust von ca. 200 Arbeitsplätzen bedeuten, überwiegend Vollzeitarbeitsplätze für Frauen, die auf dem Stellenmarkt kaum eine Chance haben
werden und deren Familien ins soziale Abseits geschoben würden. Die eventuell in Aussicht gestellten Ersatzarbeitsplätze in Dortmund für einen Teil der Mülheimer
Belegschaft sind nicht realistisch. Auch für unsere Stadt Mülheim wäre die Wissoll-Schließung ein herber Verlust in einer ohnehin schweren Zeit.
Wir sind allerdings verwundert über die Verkaufs- und Schließungsabsichten angesichts dessen, dass die Auftragsbücher von Wissoll-Mülheim so voll sind, dass sogar
Sonderschichten gefahren werden müssen. Aus allem, was wir in der Schule über Marktwirtschaft gelernt haben, ist es eigentlich widersinnig, einen Betrieb bei voll
ausgebuchter Auftragslage zu schließen. Wenn der Betrieb trotz vieler Aufträge Verluste produziert, müssten doch alle Überlegungen dahin gehen, Betriebsstruktur und
Abläufe zu optimieren, nicht aber das gesamte Werk zu schließen.
Wir haben aus der Presse erfahren, dass Betriebsrat und Gewerkschaft ein solches Optimierungskonzept erarbeiten ließen, das
sowohl tragfähig, als auch für den Konzern profitabel wäre. Unabhängig von der Frage, warum nicht die Geschäftsleitung selbst dies vorlegte, sind wir sehr enttäuscht darüber, dass das o.g.
Optimierungskonzept nicht wirklich ernst genommen worden ist.
Es scheint, als wolle nun auch der Konzern Tengelmann sich im Sinne des momentanen
Zeitgeistes ganz von der "lästigen" Produktion verabschieden, obwohl gerade Wissoll durchaus eine Perspektive hätte. Dieser allgemein zu beobachtende Trend ist bedenklich,
weil u. E. auf Dauer weder eine Stadt, noch ein Land, noch eine Volkswirtschaft ohne den produktiven Sektor und nur vom tertiären Sektor leben kann.
Ungeachtet dessen besteht ein wichtiger
Imagefaktor von Tengelmann darin, dass der Konzern sich seit langem umweltbewußt verhält. Dazu passt es nicht, wenn
Tengelmann aus eher kurzfristigen Erwägungen heraus das "Mutterwerk", aus dem der Konzern hervorging, ohne wirkliche Not schließen lässt. Das hat mit Nachhaltigkeit und Verantwortung
für kommende Generationen wenig zu tun und schadet dem bisherigen Image.
Auch Sie wissen, dass es bisher viele und auch etliche traditionelle Tengelmann-Kunden
gibt und gab, die nicht nur auf den Preis der Produkte schauten.
Wir wissen, dass Sie persönlich sich bisher immer für den Mülheimer Wissoll-Standort eingesetzt haben.
Gerade deshalb wenden wir uns an Sie mit der Bitte, alles in Ihren Möglichkeiten Stehende zu unternehmen, um die nach unserer festen Überzeugung unnötige Schließung
von Wissoll in Mülheim abzuwenden. Nicht nur Sie persönlich, auch ein Konzern wie Tengelmann, der von seinen Kunden lebt, steht in der Verantwortung für die Beschäftigten und den Standort
. Wir bitten, dies zu bedenken.
Mit herzlichen Grüßen
i.A. der MBI: Hans-Georg Hötger, Vorsitzender
Lothar Reinhard, Ratsvertreter