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Inland

Clement will nicht zahlen

Quelle: junge Welt vom 06. Oktober 2005

Bundeskabinett beschloß Anpassungsgesetz zu »Hartz IV«: Kommunen sollen drei Milliarden Euro zurückerstatten. Protest des Deutschen Städtetages

Der Bund will den Kommunen in diesem Jahr kein Geld mehr für die Unterkunftskosten von Arbeitslosengeld-II-Empfängern überweisen. Ein entsprechendes Anpassungsgesetz beschloß das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin. Es bedarf allerdings der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Damit zeichnet sich ein heftiger Streit der Bundesregierung mit Ländern und Gemeinden ab, die die damit verbundene finanzielle Einbuße von rund drei Milliarden Euro nicht hinnehmen wollen.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement erklärte nach der Kabinettssitzung, auch nach einem Inkrafttreten des Gesetzes würden die Kommunen durch das Hartz-IV-Paket um 2,5 Milliarden Euro entlastet. Es geht dabei um den Anteil des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung für erwerbsfähige Bedarfsgemeinschaften, also zusammenlebende Bedürftige. Der Anteil des Bundes an diesen Kosten war im Juni 2004 im Vermittlungsausschuß auf 29,1 Prozent festgelegt worden, mit einer Revisionsklausel für den 1. Oktober 2005.

»Die Überprüfung aufgrund der Daten aus dem Verwaltungsvollzug bis einschließlich September hat ergeben, daß die Kommunen durch die Leistungen deutlich geringer belastet werden, als dies seinerzeit im Vermittlungsausschuß geschätzt worden war«, erklärte das Wirtschaftsministerium. Daher müsse der Anteil des Bundes angeglichen werden. Er werde rückwirkend vollständig entfallen. »Das heißt: Der Bund wird bis Ende dieses Jahres keine Zahlungen mehr an die Kommunen leisten.«

Clement räumte ein: »Selbstverständlich ist uns bewußt, daß wir über die Revision letztlich ein Einvernehmen mit den Ländern und damit auch der kommunalen Seite erzielen müssen.« Das schien am Mittwoch in weiter Ferne zu liegen: Der Deutsche Städtetag protestierte heftig gegen die Absichten der Regierung. Geschäftsführer Stephan Articus nannte es »absolut unrealistisch«, Rückzahlungen der Kommunen an den Bund in Höhe von drei Milliarden Euro zu erwarten. »Viele Städte berichten uns sogar von Mehrbelastungen durch Hartz IV, so daß auch eine höhere Bundesbeteiligung notwendig werden könnte.« Er sei sicher, daß der Entwurf nicht Gesetzeskraft erlangen werde. Es sei inakzeptabel, daß der Bund vor Beginn der Revisionsgespräche einen Gesetzentwurf vorlege. Dieser hatte den Kommunen im Zuge der »Hartz-IV-Reform« eine Beteiligung an den Miet- und Heizkosten der ALG-II-Empfänger in Höhe von 29,1 Prozent zugesagt. Dieser Anteil war jedoch nach heutiger Einschätzung der Bundesregierung zu hoch. Die Ausgaben des Bundes für das AlG II dagegen übersteigen alle Erwartungen: Statt der ursprünglich geschätzten 14,6 Milliarden Euro schlagen voraussichtlich etwa 26 Milliarden Euro zu Buche, wie die Financial Times Deutschland berichtete.

(AP/jW)

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Clement will von Kommunen Milliarden zurück

Der Bund will den Kommunen kein Geld mehr für die Unterkunftskosten von Arbeitslosengeld-II-Empfängern überweisen. Ein entsprechendes Gesetz müßte jedoch zuvor von Bundestag und Bundesrat gebilligt werden

Quelle: Die Welt vom 05. Oktober 2005

© AP
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement stößt mit Milliarden-Forderung auf massive Ablehnung

Berlin - Zwischen der Bundesregierung und den Kommunen ist ein heftiger Streit um die Unterkunftskosten von Arbeitslosengeld-II-Empfängern ausgebrochen. Der Bund will die bisher geleisteten Zuschüsse an die Kommunen von rund 2,4 Milliarden Euro zurück und weitere 0,8 Milliarden nicht zahlen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedete das Bundeskabinett am Mittwoch. So lange dieser aber nicht von Bundestag und Bundesrat gebilligt ist - womit kaum zu rechnen ist -, muß der Bund weiter zahlen. Die kommunalen Spitzenverbände protestierten heftig gegen die Vorlage.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement erklärte nach der Kabinettssitzung, auch nach In-Kraft-Treten der geplanten Neuregelung würden die Kommunen durch das Hartz-IV-Paket um jene 2,5 Milliarden Euro entlastet, die ihnen im Vermittlungsverfahren im Juni 2004 zugesichert worden waren.

Bei den 3,2 Milliarden geht es um den Anteil des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung für erwerbsfähige ehemalige Sozialhilfe- und jetzige ALG-II-Empfänger. Deren Sozialhilfe zahlte bis zum In-Kraft-Treten der Reform die Kommunen; danach erhielten sie keine Sozialhilfe mehr, sondern ALG II, und das zahlt der Bund. Allerdings sind nun die Kommunen für die Wohnungszuschüsse zuständig.

Die Gegenrechnung dieser beiden Leistungen ergab noch keine Entlastung der Kommunen, sondern nur eine Reduzierung ihrer Lasten auf 0,7 Milliarden Euro. Um das Versprechen der Entlastung von 2,5 Milliarden einzuhalten, verpflichtete sich der Bund auf einen Zuschuß an die Kommunen von 29,1 Prozent oder 3,2 Milliarden zu den Unterkunfts- und Heizungskosten.

Die Zahl der Betroffenen war jedoch nach Angaben des Ministeriums tatsächlich wesentlich höher als Mitte 2004 geschätzt, so daß nach den Berechnungen die Kommunen nicht auf 0,7 Milliarden Zahlungen sitzen geblieben sind, sondern sogar 3,5 Milliarden Entlastung hätten verbuchen können, wie Ministeriumssprecherin Andrea Weinert betonte. Da das Hartz-IV-Paket eine Revisionsklausel für den 1. Oktober 2005 umfaßte, sei jetzt der Gesetzentwurf gebilligt worden.

Gemeindebund: Clement treibt Kommunen in Ruin

Der Deutsche Städtetag protestierte heftig gegen die Absichten der Bundesregierung. Geschäftsführer Stephan Articus nannte es „absolut unrealistisch“, Rückzahlungen der Kommunen an den Bund zu erwarten. „Viele Städte berichten uns sogar von Mehrbelastungen durch Hartz IV, so daß auch eine höhere Bundesbeteiligung notwendig werden könnte.“ Er gab sich sicher, daß der Entwurf nicht Gesetzeskraft erlange.

Der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Roland Schäfer, warf Clement vor, die Kommunen in den Ruin zu treiben. Er sprach von „Wortbruch“. Er forderte klare und nachvollziehbare Zahlen.

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Arbeitsmarktreform kostet mehr Geld

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. August 2005

Berlin - Die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) vorgesehenen Gelder zur Auszahlung des Arbeitslosengeldes II für das Jahr 2005 sind nach Angaben aus Regierungskreisen schon aufgebraucht. Nach ursprünglichen Planungen waren für 2005 14,6 Milliarden Euro vorgesehen, bis Ende Juli habe die Bundesagentur aber schon Arbeitslosengeld-II-Zahlungen in Höhe von 13,1 Milliarden Euro geleistet, hieß es. Verbraucht sei auch ein weiterer Milliardenbetrag der Kommunen, die Langzeitarbeitslose allein betreuten. Das dürften bis Ende Juli etwa 1,4 Milliarden Euro gewesen sein. Die Auszahlung des Arbeitslosengeldes ist nach Angaben der Bundesregierung gleichwohl auch in den folgenden Monaten sichergestellt. Angesichts des Milliardendefizits hatte das Bundesfinanzministerium im Juni außerplanmäßige Ausgaben in Höhe von acht Milliarden Euro in den Haushalt eingestellt. Für das Arbeitslosengeld II stehen nunmehr für das Gesamtjahr vorerst 22,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Ursache der Kostensteigerung ist, daß die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II weitaus größer ist als bei den Planungen veranschlagt. Im Juli erhielten 4,76 Millionen erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II.
Reuters

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Wirtschaftspolitik

Die Parallelwelt des Wolfgang Clement

Kurz vor den Neuwahlen hat Wirtschaftsminister Wolfgang Clement eine Zwischenbilanz vorgelegt. Wenig überraschend: Der Mutmacher der Nation ist mit seiner Arbeit sehr zufrieden - besonders wenn er sie aus der Perspektive eines Marsmenschen betrachtet.

Von Carsten Volkery

Quelle: Spiegel online vom 28. Juli 2005

© AP
Wolfgang Clement: "Tut mir leid, ich bin so positiv"

Berlin - "So ein alter Witz", knurrt Wolfgang Clement, während er seine Stichwortzettel auf den Tisch legt. Sein Staatssekretär Georg Adamowitsch war gerade dabei, die Journalisten mit einem Witz über soziale Kompetenz zu unterhalten. Die Pointe geht im Gemurmel unter.

Clement ist nicht zum Scherzen aufgelegt. Es ist Mittwochabend, er hat in den Konferenzraum K1 im Wirtschaftsministerium geladen, um eine "Zwischenbilanz" seiner drei Jahre als Minister für Wirtschaft und Arbeit zu ziehen. Er ist in Kampfeslaune. Er weiß, was ihn erwartet.

Wie er sich seine Erfolglosigkeit als Minister erkläre, lautet die erste Frage. "Ich sehe keine Erfolglosigkeit", blafft Clement. Deutschland sei auf dem Weg zurück an die Spitze. "Wir stehen heute besser da als je in den neunziger Jahren", sagt er. Wenn man sich die Gewinne der Banken anschaue, "kann ich nicht sehen, wo ich Fehler gemacht habe". Jetzt müsse man nur noch das "Feuer des Exports" nach Deutschland bringen, dann werde es bis zum Ende des Jahres hoffentlich einen "selbst tragenden Aufschwung" geben.

Der Blick des Marsmenschen

So kennt man Wolfgang Clement. Optimistisch bis hin zum Schönfärben, das Glas immer halb voll, Deutschland auf dem Sprung aus der Krise, die Vollbeschäftigung in greifbarer Nähe. Immer die Dinge ein wenig anders sehen, als der Rest des Landes. Es ist die Rolle, die Clement seit seinem Amtsantritt 2002 perfektioniert hat.

Dass in Deutschland eine andere Wahrnehmung vorherrscht, weiß Clement nur zu genau. Wann immer er sich in der Öffentlichkeit blicken lässt, spürt er es. Hier ist er der Minister, unter dessen Ägide die Arbeitslosenzahl auf über fünf Millionen angestiegen ist.

Doch das hält ihn nicht davon ab, in seiner Parallelwelt zu leben. In der geben Ökonomen, internationale Wirtschaftsmagazine und, ja, Marsmenschen den Ton an. Bei ihnen sucht er Trost, wenn ihn die düstere Stimmung daheim mal wieder zu erdrücken droht. Seit Monaten zitiert Clement mit Vorliebe einen Bericht des Wirtschaftsmagazins "Economist". Darin steht, dass ein Marsmensch eher in Deutschland als in den USA investieren würde. Auch in dem Papier zur "Zwischenbilanz" taucht der Marsmensch wieder als Kronzeuge auf.

Es ist der Ritterschlag für Clement, dessen erklärtes Ziel es ist, Deutschland zur "weltoffenen sozialen Marktwirtschaft" umzubauen. Von diesem Weg bringt ihn keiner ab. Auch nicht die Wähler. Bloß weil die SPD in Umfragen bei 27 Prozent liege, werde er nicht glauben, "dass die anderen 73 Prozent recht haben", sagt er. Ganz bestimmt nicht werde er deshalb in "das allgemeine Klagelied" einstimmen. "Soll ich etwa sagen: Die deutsche Volkswirtschaft ist so schwach wie nie?", fragt er.

Seine Erklärung für die schlechten Umfragewerte ist ganz einfach. Im Land gebe es eine "tiefe Unsicherheit", die bei den Regierenden abgeladen werde. Die Unsicherheit sei besonders tief, weil Deutschland von allen Ländern Europas am längsten und am besten mit der traditionellen sozialen Marktwirtschaft gefahren sei.

"Viele Baustellen, wenige Bauten"

Mit der Kritik hat er zu leben gelernt. Spätestens seit Schröder ihm in einem Interview im vergangenen Jahr die alleinige Verantwortung für das Gelingen oder Scheitern von Hartz IV übertragen hat, ist der Wirtschaftsminister der Prügelknabe der Nation. In den Medien, auf Parteiversammlungen und an den Stammtischen ist "Clement-Bashing" zum guten Brauch geworden. Das Ganze habe etwas von einem Ritual, bemerkte der "Tagesspiegel": "Clement hoch oben auf dem Scheiterhaufen".

Clement trägt die Angriffe mit ostentativer Gelassenheit. Manchmal hat man den Eindruck, auch mit einem gewissen Stolz. "Ich raufe mich gern", sagt er. Seine Zwischenbilanz, sagt er, könne sich sehen lassen. "Tut mir leid, ich bin heute so positiv", sagt er grinsend.

Fünf Seiten in dem vorgelegten Bericht füllt die Auflistung der Reformen, die Clement seit 2002 angeschoben und umgesetzt hat. Eine ansehnliche Menge. "Jede Woche eine neue Reform", hatte er zu Beginn seiner Amtszeit mal verkündet. Vieles blieb auf der Strecke, seither hat Clement den Ruf des Ankündigungsministers weg. "Viele Baustellen, wenige Bauten", resümierte die "FAZ" vor kurzem.

Den Ladenschluss hat er ebenso wenig kippen können wie die tausend anderen bürokratischen Hürden, die er sich vorgenommen hatte. Feiertage wollte er streichen und die Arbeitszeit verlängern, Kündigungsschutz lockern und Mehrwertsteuer fürs Handwerk halbieren. Alles versandete am Ende oder scheiterte am Widerstand seiner Partei.

Clement: In Berlin nichts mehr zu tun

Dann ist da noch Hartz IV, die Mutter aller Reformen. Das abschließende Urteil steht zwar noch aus, aber die Zwischenbilanz nach sieben Monaten ist ernüchternd. Zusätzliche Bürokratie, Mehrkosten in Milliardenhöhe, mangelnde Vermittlungserfolge, die Liste der Beschwerden ist lang. Nicht zu vergessen die fünf Millionen Arbeitslosen aus dem Februar. Die Zahl hat Rot-Grün zwei Wahlen gekostet und könnte sie eine dritte kosten. "Ich habe mir die Schwierigkeiten nicht so tief ausgemalt", räumt Clement am Mittwochabend ein.

Die vielen Niederlagen haben die durchaus vorhandenen Erfolge in den Hintergrund gedrängt. So gibt es wieder mehr Unternehmensgründungen und mehr Ausbildungsplätze, letzteres vor allem dank des persönlichen Einsatzes von Clement.

Mit unermüdlichem Einsatz will er nun auch die Arbeitsmarktreform in einen Sieg verwandeln. "Ich will das mit allen Mitteln zum Erfolg bringen", sagt er. Ganz untypisch hängt er sich deshalb in die Details. Beinahe täglich ist er unterwegs auf den vielen Baustellen der Reform, besucht Arbeitsämter, Jugendinitiativen, Job-Bündnisse. Er geht hin, um Ideen zu sammeln und Mut zu machen. In Berlin könne man jetzt nichts mehr tun, sagt er, es komme auf "die vor Ort" an.

Doch die Zeit reicht nicht. Es geht nur sehr langsam voran. Heute muss er vor der Bundespressekonferenz erneut einen Anstieg der Arbeitslosigkeit um 47.000 für den Monat Juli kommentieren. Ein saisonaler Effekt, typisch für die Ferienzeit. Insgesamt ist die Entwicklung positiv, saisonbereinigt sinken die Arbeitslosenzahlen seit Monaten. Ein Hoffnungsschimmer für Clement. Doch der ist mit großen Ankündigungen etwas vorsichtiger geworden. "Ich weiß nicht, ob der Aufschwung schon stabil ist", sagt er.

Selbst wenn der Aufschwung käme, dürfte es für Rot-Grün wohl zu spät sein. Die Union nimmt die Anzeichen der Erholung bereits vorsichtshalber für sich in Anspruch und spricht vom "Merkel-Aufschwung" - genau wie einst Schröder, der im Wahlkampf 1998 die anziehende Konjunktur für sich reklamiert hatte.

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Bilanz

Clement gibt sich ernüchtert

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hat in einer Bilanz seiner Arbeit im Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeräumt, dass er die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren unterschätzt hat.

Quelle: Handelsblatt vom 28. Juli 2005

Wirtschaftsminister Clement:
© DPA
GroßbildansichtWolfgang Clement.

HB BERLIN. Clement sagte, er habe sich die die Schwierigkeiten Ende 2002 "nicht so tief greifend ausgemalt" habe. Die positiven Auswirkungen der Reformpolitik auf den Arbeitsmarkt würden sich erst allmählich einstellen. "Wir haben das Fundament der Volkswirtschaft verstärkt, sind aber noch lange nicht am Ziel", sagte Clement. Zugleich räumte er ein: "Es herrscht eine tiefe Unsicherheit, und die Regierung hat sie als erste auszutragen".

Clement lobte zugleich den zurückgetretenen VW-Personalvorstand Peter Hartz. "Diejenigen, die bei VW Verantwortung tragen, die wissen: In Wolfsburg wäre heute eine andere Situation, wenn es Peter Hartz nicht gegeben hätte. In Wolfsburg wären dann in verschiedenen Stadtteilen die Lichter ausgegangen". Für die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland habe Hartz Vorarbeit geleistet wie vor ihm kein anderer. "Ich habe nicht den geringsten Anlass, mich von ihm zu distanzieren", bekräftigte Clement.

Hartz hatte bei VW innovative Beschäftigungsmodelle wie die Viertagewoche eingeführt, um Kündigungen zu verhindern. Später arbeitete er für die Bundesregierung Vorschläge für Reformen auf dem Arbeitsmarkt aus, für die sich inzwischen die Bezeichnung Hartz I bis Hartz IV eingebürgert hat. Kürzlich war Hartz wegen der Korruptionsaffäre bei dem Autokonzern aus dem unternehmen ausgeschieden.

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Trendwende nicht in Sicht

68.000 Arbeitslose mehr im Juli

Quelle: Tagesschau.de vom 28. Juli 2005

Wirtschaftsminister Clement:
Großbildansicht

Im Juli ist die Zahl der Arbeitslosen weiter gestiegen. Insgesamt seien 4,772 Millionen Menschen ohne Beschäftigung gewesen, teilte die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg mit. Das waren 68.000 Arbeitslose mehr als im Juni. Gegenüber dem Vorjahresmonat seien 412.000 Erwerbslose in der der Statistik erfasst worden. Die Arbeitslosenquote habe sich gegenüber Juni von 11,3 auf 11,5 Prozent erhöht. Ein direkter Statistikvergleich zum Juli des Vorjahres ist aber schwierig, da die Bundesagentur ihre Erfassung zwischenzeitlich umgestellt hatte.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement sagte, "wie in jedem Juli" seien etwas mehr Menschen ohne Beschäftigung gewesen. Er macht für den Anstieg das Auslaufen vieler Ausbildungsverträge verantwortlich. Viele Jugendliche meldeten sich nach Beendigung ihrer Lehre erst einmal arbeitslos, erläuterte Clement.

Beobachter verweisen darauf, dass die Zahlen in vielerlei Hinsicht verzerrt sind und daher nur einen unzureichenden Eindruck des zugrunde liegenden Trends liefern können. Vor allem die so genannten Ein-Euro-Jobs sorgten dafür, dass die Erwerbslosigkeit unter- und die Beschäftigungsentwicklung überzeichnet wird. Ökonomen betonen, eine echte Trendumkehr sei weiter nicht in Sicht.

Mehr Erwerbstätige im Juni

Derweil nahm die Zahl der Erwerbstätigen im Juni saisonbedingt zu. Laut einer Mitteilung des Statistischen Bundesamtes gab es im Vormonat etwa 50.000 Arbeitskräfte mehr. Dies entspricht einer Zunahme um 0,1 Prozent. Insgesamt betrug die Zahl der Erwerbstätigen 38,79 Millionen.

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Hartz-Versagen

Reform zur Förderung junger Arbeitsloser erfolglos

Die Förderung arbeitsloser Jugendlicher im Zuge der Hartz-IV-Reform kommt nur schleppend voran. Die Zahl junger Arbeitslosengeld-Empfänger steigt weiter, ein Großteil der Jobsuchenden ist bereits länger als drei Monate ohne Beschäftigung.

Quelle: Spiegel online vom 23. Juli 2005

Hamburg - Laut Gesetz wollte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement allen unter 25-Jährigen bereits in diesem Jahr umgehend einen Arbeitsplatz, eine Ausbildung oder eine Beschäftigungsmaßnahme anbieten, wenn sie zu Hartz-IV-Beziehern werden. Doch dieses Ziel wird er kaum erreichen, wie nach Informationen des SPIEGEL aus einem internen Bericht der Bundesagentur für Arbeit an den Ressortchef hervorgeht.

Danach ist die Zahl jugendlicher Arbeitslosengeld-II-Empfänger allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres von knapp 205000 auf gut 255000 gestiegen. Lediglich 70000 junge Menschen nehmen derzeit an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil. Zudem lag der Anteil der Jobsuchenden unter 25 Jahren, die länger als drei Monate arbeitslos gemeldet sind, im Juni bei über 70 Prozent.

Ursprünglich hatte Clements Ministerium geplant, dass bereits in diesem Jahr kein Jugendlicher länger als drei Monate im Status "arbeitslos" verweilen soll. Nun sollen die Job-Center umgehend eine Vermittlungsoffensive starten, um die Jugendarbeitslosigkeit doch noch zu drücken.

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Inland

Konjunkturfeuerwerker

Wolfgang Clement

Quelle: junge Welt vom 23. Juli 2005

Es gibt Menschen, die haben es irgendwann endlich geschafft. Losgelöst von der Materie schwingt sich der Geist in neue Sphären und erreicht schließlich zunächst die fünfte Dimension, bevor er endgültig als unsterbliche Seele ins Nirvana eingeht. Spätestens dort spielen die verbale Kommunikation und irdische Realität keine Rolle mehr, denn jegliche Form der Existenz manifestiert sich in Energie und Schwingungen.

So oder so ähnlich sehen das die Buddhisten, und ihr Entwicklungsmodell hat weltweit eine große Anhängerschar. Zu der scheint neuerdings auch Wolfgang Clement zu gehören. Während Arbeitsmarkt, Binnenkonjunktur und Lage der öffentlichen Haushalte mit desaströs fast noch zu optimistisch beschrieben sind, wähnt der entrückte Wirtschaftsminister laut Spiegel online ein nirvanaähnliches »Konjunkturfeuerwerk« herannahen und laut der Neuen Osnabrücker Zeitung einen europaweiten »wirklich stabilen Aufschwung« mit Deutschland an der Spitze. Schon 2006 sei eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um bis zu zwei Prozent nahezu ausgemachte Sache. Und das alles nur, weil die Regierung, der er angehört, dafür »ein gutes Fundament geschaffen« habe, und »das zahlt sich langsam aus«. Schließlich habe man ein Gesetz zur public-private-partnership verabschiedet, mit dem man privates Kapital in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro für Investitionen in Straßen, Schulen oder Kindergärten gewinnen könne. Das würde allerdings nur funktionieren, wenn die SPD die Wahlen gewinnt, da sie die Partei ist, »die besser als alle anderen für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland sorgen kann und wird«. Auch ansonsten gebe keine Probleme, da die Arbeitslosigkeit bereits im August spürbar sinken werde und ohnehin die Bundesagentur »immer effektiver« arbeiten würde.

In der fünften Dimension gibt es keine Arbeitslosen, und in Deutschland herrscht Religionsfreiheit. Aber vielleicht sollte man die Inhaber hoher öffentlicher Ämter doch mal ab und zu auf ihren Geisteszustand überprüfen.

(balc)

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Vom Superstar zum Superflop - Aufstieg und Fall des Wolfgang Clement

Von Marcus Weller, Axel Svehla und Katrin Aue

Quelle: Kontraste vom 07. Juli 2005

© RBB

Er war ein Star in der SPD. Er sollte Schröder ins Kanzleramt folgen. Er galt als Wunderwaffe der Regierung und wollte als Superminister Deutschland quasi im Alleingang sanieren. Doch Wolfgang Clement ist fulminant gescheitert – und muss nun auch noch als Watschenmann für frustrierte Parteigenossen herhalten. Den steilen Aufstieg und den unaufhaltsamen Abstieg eines Politstars dokumentieren Marcus Weller, Axel Svehla und Katrin Aue.

Heute feiert Wolfgang Clement seinen 65. Geburtstag. Sie erinnern sich noch? Richtig, der Superminister von damals. Und seine Partei richtet ihm auch heute keine Party aus und überhaupt ist es still geworden um Wolfgang Clement. Irgendwie stört er. Denn es ist Wahlkampf und die SPD will beweisen, dass auch sie sich nach links drehen kann, wenn denn der Wähler das so will. Kathrin Aue, Axel Svehla und Marcus Weller über das Geburtstagskind und den Genossen Wolfgang Clement.

Wolfgang Clement – Wirtschafts- und Arbeitsminister. Des Kanzlers Wunderwaffe aus dem Ruhrpott. Superminister.

Das war einmal, denn Tatsachen sind stärker als Versprechen. Knapp fünf Millionen Arbeitslose. Das Land in tiefer Depression. Die Regierung hat kapituliert.

Franz Müntefering, SPD-Parteivorsitzender
“Der Bundeskanzler und ich wollen den Führungsgremien der Partei vorschlagen, dass wir die Entscheidung suchen, und dass wir für den Herbst dieses Jahres Bundestagswahl anstreben.”

Die SPD auf der Flucht nach vorne. Ein neues Programm. Titel: Vertrauen in Deutschland. Tenor: Alles wird besser, aber nichts anders.

Franz Müntefering, SPD-Parteivorsitzender
“Wir haben klargestellt, dass es bei Hartz keine weiteren Veränderungen gibt, sondern dieses soll umgesetzt werden.“

Falsch. Linksschwenk marsch! Den Kapitalisten wird zur Abwechslung mal gezeigt wo der Hammer hängt.

Mindestlohn. Reichensteuer. Angleichung Arbeitslosengeld 2 in Ost und West.

Alles Punkte, gegen die sich Wirtschaftsfreund und Superminister Clement immer gewehrt hat. Superminister? Abgemeldet! Kein Problem für die Partei und ihren Kanzler.

KONTRASTE
„Wie viel Clement ist im Wahlmanifest noch drin?“
SPD-Mitglieder
„Ich weiß nicht, was Clement ist. Es geht darum, dass wir eine Breite finden, die die Mitte der Partei abdeckt.“ „Jeder muss immer, wenn man ein Gesamtkonzept macht, den einen oder anderen Abstrich machen.“ „Jeder muss sich bewegen. Ich, andere.“ „Es geht nicht darum, ob hier einzelne Personen sich zu hundert Prozent wieder finden.“

Vom Frontmann zum Außenseiter. So schnell geht das bei den Genossen!

Uwe Andersen, Parteienforscher, Ruhr-Universität Bochum
„Wäre er erfolgreich gewesen, wäre er sogar als Nachfolgekanzlerkandidat in Frage gekommen. Inzwischen verabschiedet sich die Partei von der Agenda 2010, zumindest in Teilen, das nennt sich Ergänzung, ist aber in Teilen eine Rücknahme, und von daher ist Herr Clement in die Rolle des Sündenbocks geraten für die Partei.“

Bochum. Perle im Revier. Hier kommt er her, der Wolfgang Clement. Und hier hat er seine treuesten Fans. Eigentlich.

Bochumer
„Es ist als Sozialdemokrat … fühlt man manchmal: Mensch, Wolfgang, gehst du da nicht ein bisschen zu weit?“ „Er ist nicht mehr der Mann am Volke. Das, was er früher war. Muss ich ganz klar sagen das ist er nicht mehr. Es ist, als wenn er unnahbar wäre. Weil, das war zu viel für ihn.“

Uwe Andersen, Parteienforscher, Ruhr-Universität Bochum
„Schröder hat ihm diese Position auch zugeschoben. Wenn Hartz IV schief gehen sollte, dann sei das sozusagen Herrn Clement anzulasten. Während es natürlich inhaltlich betrachtet genauso den Kanzler trifft.“

Nix mehr Superminster. Der Kanzler ist jetzt selber super. Der macht jetzt alles ganz allein.

Gerhard Schröder (SPD), Bundeskanzler
„Es ist ein Regierungsprogramm und als solches ist es meines, und deswegen kein Kompromiss.“

Alles für die SPD. Clement schluckt’s und redet die Niederlage auch noch schön.

Wolfgang Clement (SPD), Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit
„Das ist kein Kurswechsel. Die Agenda 2010 ist das Leitmotiv an dem sich das Programm orientiert und das ist gut so.“

Der Kanzler ist zufrieden.

Der Superminister hat seine Schuldigkeit getan. Und hat längst Konsequenzen gezogen. Sein Parteiamt gibt er ab. Und in den Bundestag will er auch nicht.

Übrigens: Clement hat heute Geburtstag. Glückwünsche der Partei zum 65. Freundlicher kann man jemanden nicht aufs Altenteil schieben.

SPD-Mitglieder
„Ich wünsche ihm Glück und Erfolg. Danke schön für seine Politik.“ „Hey, du hast so viel erreicht in deinem Leben. Einfach mal ein bisschen ruhiger.“ „Gesundheit, Kraft und ein langes Leben.“

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Der Stellenschwund am Arbeitsmarkt zwingt zu höheren Steuern

Der Schein trügt gewaltig

Kommentar von Ulrike Herrmann

Quelle: taz vom 01. Juli 2005

Ein Mann, eine Ausflucht: Einmal im Monat muss Superminister Wolfgang Clement die Arbeitslosenzahlen kommentieren - und jedes Mal sucht er einen Grund, warum die Statistik eigentlich gar nichts aussagt. In Varianten trägt er seine Lieblingsthese vor, dass viele angeblich Arbeitslose eigentlich überhaupt nicht arbeitsfähig oder arbeitswillig seien. Und dann tauchen sie wieder auf, die bekannten Beispiele: Die Mutter mit den drei Kindern oder die Schwerkranken, die als vermittelbar eingestuft wurden. Zwanzig Prozent soll dieses "Fehlerpotenzial" betragen. Implizite Botschaft: In Wahrheit sind wir der Vollbeschäftigung viel näher als wir glauben.

Auch andere Statistiken hat der Wirtschaftsminister noch in petto: So freute er sich gestern, dass 38,98 Millionen Erwerbstätige gezählt werden konnten - dies sei der höchste Stand seit drei Jahren. Dabei ging jedoch unter, dass dieser Zuwachs rein künstlich ist, werden doch auch alle subventionierten Ich-AGs und Ein-Euro-Jobber mitgerechnet. Die Arbeitslosenzahlen werden so zur Fantasie-Erhebung: Inzwischen gibt es Scheinselbstständige, Scheinangestellte und außerdem angebliche Scheinarbeitslose. Sie alle werden in die Statistik rein- oder rausgerechnet, wie es gerade passt.

Nur eine Angabe lässt sich nicht manipulieren: die Zahl der voll sozialversicherungspflichtigen Stellen. Davon gibt es noch 26,15 Millionen - 330.000 weniger als vor einem Jahr. Das ist dramatisch, denn es sind diese Jobs, die den Sozialstaat finanzieren. Auf diesen Abwärtstrend sollten sich die Parteien konzentrieren.

Der Schwund der echten Stellen lässt sich zwar nicht aufhalten, denn der Produktivitätsfortschritt liegt in Deutschland deutlich höher als das Trendwachstum. Doch umso dringender stellen sich Finanzierungsfragen. So ist offensichtlich, dass die Sozialversicherungen möglichst schnell durch Steuern gestützt werden müssen. Es wird sich gar nicht vermeiden lassen, neben der Mehrwertsteuer auch die Einkommenssteuer zu erhöhen. Das ist natürlich unangenehm für die Parteien, die sich gerade erst als Steuersenker profilieren wollten. Da ist es viel bequemer, sich über die Arbeitslosenstatistik zu streiten.

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Loblied auf »Hartz IV«

Ombudsrat versucht, das »Reformgesetz« schönzureden. Faktische Kritik als »Änderungsvorschläge« verpackt. Sozialpolitisches Desaster nicht thematisiert

Von Klaus Fischer

Quelle: junge Welt vom 30. Juni 2005

»Hartz IV« ist prima. Jedenfalls im Prinzip, meint Hermann Rappe. Richtig sei es gewesen, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, verkündete der frühere Gewerkschaftsboß am Mittwoch in Berlin. Davon sei er heute mehr als zu Beginn überzeugt. Rappe ist eines von drei Mitgliedern im sogenannten Ombudsrat, einem von der Bundesregierung berufenen Beschwerde- und Aufsichtsgremium, das die Umsetzung des »Hartz IV«-Gesetzes begleiten soll. Ein halbes Jahr ist das sogenannte Reformgesetz in Kraft, Zeit also, einen Zwischenbericht vorzulegen.

Sicher gebe es einen gewissen Änderungsbedarf, ließ das Gremium wissen. Alle Probleme seien jedoch lösbar oder schon gelöst, hieß es beruhigend. So kritisierte Rappe unter anderem die Organisation in den Arbeitsgemeinschaften zwischen Bundesagentur für Arbeit und Kommunen. In diesen Arbeitsgemeinschaften müsse es klare Absprachen geben. Auch die Leitungsfragen müßten unmißverständlich geklärt werden. Die Bundesregierung hatte am Dienstag signalisiert, hier Änderungen vorzunehmen.

Auch ein weiterer Wunsch des Rates scheint erfüllbar: Empfänger des sogenannten Arbeitslosengeldes II (ALG II) sollen künftig in Ost- und Westdeutschland einheitlich die stolze Summe von 345 Euro pro Monat erhalten. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hatte sich am selben Tag einer solchen Empfehlung des Ombudsrates angeschlossen und will in Kürze eine Gesetzesinitiative starten. Allerdings warnte Clement vor zu großen Erwartungen, daß dies schnell geschehen könnte. Die Anhebung des sogenannten Regelsatzes Ost von derzeit 331 Euro auf den Westsatz sei vor geplanten Neuwahlen im Herbst zwar »möglich«, doch gebe es dafür »keine Sicherheit«.

Der Ombudsrat – ihm gehören neben Rappe die ehemalige Bundesministerin Christine Bergmann (SPD) und der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) an – hatte eine Angleichung der Regelsätze empfohlen. Eine unterschiedliche Höhe in den alten und den neuen Bundesländern sei nicht mit dem Hinweis auf niedrigere Nettoeinkommen oder Lebenshaltungskosten zu begründen, so die »Hartz«-Wächter.

Trotz ihrer bekundeten Treue zu den Grundsätzen des Gesetzes listeten die Ombudsleute

zahlreiche notwendige Nachbesserungen auf. Bislang sind den Angaben zufolge seit Dezember 2004 knapp 8000 schriftliche Eingaben und mehr als 25000 Anfragen bei der telefonischen Informationsstelle des Ombudsrates eingegangen. Beklagt werden bürokratisches Wirrwarr oder Kompetenzgerangel sowie unzureichende Information.

Doch zu den eigentlichen Problemen von »Hartz IV« fiel am Mittwoch kein Wort. Nichts kam vom Rat zu dem sozialpolitischen Desaster, das dieses Gesetz unter Betroffenen und möglichen »Kandidaten« anrichtet: Keine Arbeit, kaum Geld zum Überleben, mehr Tyrannei vom Amt – das wird nicht nur von den Betroffenen als Bestrafung, sondern von allen, die noch Arbeit haben, als Bedrohung empfunden. Erste Auswirkungen sind bei aktuellen Tarifauseinandersetzungen zu besichtigen. Die Beschäftigten sind erpreßbarer geworden.

Auch die zusätzlichen Gelder, die sich Kanzler Gerhard Schröder sein »Reformprojekt« kosten läßt, standen nicht im Fokus. Von fast zehn Milliarden Euro nicht geplanter Kosten ist öffentlich die Rede. Dabei dürfte auch für ausgemusterte Politiker und Gewerkschaftsführer sichtbar sein, daß »Hartz IV« zwar »fordert«, von »Fördern« keine Rede sein kann. Mit dieser Losung hatten einst SPD- und Grünen-Politiker mit Unionsassistenz die Notwendigkeit des Gesetzes begründet.

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Ein wenig Schminke für Hartz IV

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement kündigt kosmetische Korrekturen an Hartz IV an. Die Höhe des Arbeitslosengelds II in den ostdeutschen Bundesländern soll auf Westniveau angehoben werden. Grünen-Chef Bütikofer fordert weitere Änderungen

Von Klaus Jansen

Quelle: taz vom 30. Juni 2005

Wolfgang Clement ist entschlossen, die Hartz-Reformen bis zum Ende seiner Amtszeit zu verteidigen. "Der Weg, den wir eingeschlagen haben, war richtig", sagte der sozialdemokratische Bundeswirtschaftsminister gestern. Anlass war die Vorstellung des Zwischenberichts des so genannten "Ombudsrats Grundsicherung für Arbeitssuchende". Der 30-seitige Text zieht nach einem halben Jahr Hartz-IV-Gesetze eine erste Bilanz der Arbeitsmarktreformen.

Rund 158.000 Beschwerden von Arbeitslosengeld-II-Empfängern hat der von der Bundesregierung eingesetzte Ombudsrat seit Dezember erhalten. Dennoch bestärkte der Vorsitzende des Gremiums, der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Chemiegewerkschafts-Chef Hermann Rappe, den Wirtschaftsminister. "Ich bin von der Richtigkeit noch mehr überzeugt als am Anfang unserer Arbeit", sagte Rappe. Allerdings mahnten er und seine Kollegen - das sind der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) und Ex-Familienministerin Christine Bergmann (SPD) - Veränderungen an dem Gesetz an. Wichtigster Punkt: die Angleichung der Höhe des Arbeitslosengelds II in Ost- und Westdeutschland.

In den ostdeutschen Bundesländern sollte der Regelsatz von bisher 331 Euro auf das Westniveau von 345 Euro angehoben werden, so der Ombudsrat. Die Ungleichbehandlung sei nicht zu rechtfertigen. Bestätigt sieht man sich dadurch, dass der Großteil der beim Rat eingegangenen Beschwerden aus dem Osten kommt - 24 Prozent aller schriftlichen Eingaben allein aus Sachsen.

Wirtschaftsminister Clement versprach, dem Rat zu folgen. Noch vor den Neuwahlen wolle er einen Gesetzesentwurf für die jährlich rund 200 Millionen Euro teure Anhebung der Ostsätze ausarbeiten lassen. Weil aber auch der Bundesrat zustimmen müsse, werde es mit einer Verabschiedung zunächst sicher nichts. "Ich will da keine Illusionen wecken", gab Clement zu.

Umgesetzt werden deshalb allenfalls kleine Korrekturen: Bei der Berechnung von Arbeitslosengeld II sollen die Eigenheimzulage, das tatsächlich an den Nachwuchs weitergereichte Kindergeld und Einkünfte aus Schülerjobs vor dem Zugriff des Staates geschützt werden.

Nicht einig ist sich der Ombudsrat in der Frage, ob für ältere Arbeitnehmer die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld II verlängert werden sollte - CDU-Mann Biedenkopf blieb auf Parteilinie und sperrte sich dagegen. Im Bundesrat will die Union die von der Regierung eingebrachte Verlängerung der Bezugsdauer von einem auf zwei Jahre blockieren.

Die Grünen nutzten den Ombudsratbericht, um weiter gehende Korrekturen an Hartz IV einzufordern. Es bestehe die "Chance, noch einmal über einige Stellschrauben zu diskutieren", sagte Parteichef Reinhard Bütikofer. Vor allem sei ein besserer Schutz von Alterseinkommen nötig.

Die Union kündigte für den Fall eines Regierungswechsels gar eine "Generalüberholung" von Hartz IV an. NRW-Arbeitsminister und CDA-Chef Karl-Josef Laumann sprach sich etwa gegen einen Rechtsanspruch auf die Gründung einer Ich-AG aus. Zudem sollten die Kommunen bei der Vermittlung von Arbeitslosen stärker an die Stelle der Bundesagentur für Arbeit treten. Der Nachbesserungskatalog zeige, wie "schlampig" Hartz IV von Rot-Grün vorbereitet worden sei, kritisierte der CDU-Fraktionsvize Ronald Pofalla.

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Interview

»Clement hat auf der ganzen Linie versagt«

Werbekampagne des Wirtschaftsministers wird von ATTAC-Aktivisten als verlogen kritisiert. Alternative zu ALG II: Mindestens zehn Euro pro Stunde, 30 Arbeitsstunden pro Woche. Ein Gespräch mit Johannes Beisiegel

Interview: Thomas Klein

Quelle: junge Welt vom 28. Juni 2005

* Johannes Beisiegel ist aktiv in der ATTAC-Arbeitsgemeinschaft »Genug für alle«

F: Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) will in diesen Tagen eine »Hartz IV«-Bilanz vorlegen. Wenn Sie die einst verkündeten Ziele und die Realität im Jahr 2005 gegenüberstellen – wie lautet Ihr Urteil?

Die Bundesregierung wollte mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik neu gestalten. Die Kosten für Arbeitgeber und die Staatsquote sollten gesenkt werden. Das Ergebnis ist aber verheerend: Die Staatsquote ist gestiegen, die Lohnnebenkostenten sind immer noch hoch, Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Armutsbekämpfung gibt es nicht. Die Mehrausgaben summieren sich wahrscheinlich bis Ende 2005 auf zwölf Milliarden Euro.

Der Reichtums- und Armutsbericht der Regierungskoalition zeigt, daß Hartz IV das Armutsrisiko dramatisch erhöht hat. Vor allem Minderjährige in sogenannten Bedarfsgemeinschaften sind zusätzliche Opfer, weil sie nicht mehr an der Kultur, dem sozialen Leben und den Bildungsperspektiven ihrer Altersgenossen teilhaben können.

F: Ist Ihr Urteil nicht zu vernichtend?

Nein, es kann auf die schlichte Formel gebracht werden: Versagen auf der ganzen Linie. Bezeichnend ist auch, daß Clement offenbar auch keine Lust hat weiterzumachen. Zur Zeit betreibt sein Ministerium als Wahlkampf-Frühstart die PR-Kampagne »Zwei Jahre Agenda 2010«. Die ist so verlogen, daß die Werbeplakate eigentlich aus den Rahmen fallen müßten.

F: Ein Beispiel?

Ein Titel der PR-Kampagne lautet: »2,6 Millionen Menschen aus der Sozialhilfe geholt«. Die Wahrheit ist: Wer das Bundessozialhilfegesetz abgeschafft hat, hat deshalb nicht eine einzige Person aus Bedürftigkeit oder Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung geholt. Das ist blanker Zynismus. Genauso wie die Auflagen an die Arbeitsagenturen und Job-Center, die Mittelempfänger noch schärfer zu kontrollieren und zu verfolgen, damit die explodierenden Ausgaben eingedämmt werden können.

F: Was müßte geändert werden, um die Situation der betroffenen Menschen zu verbessern?

Für die Menschen, die nicht arbeitsfähig sind, müssen die Regelsätze sofort um mindestens 30 Prozent angehoben, einmalige Hilfen umgehend wieder eingerichtet und das skandalöse Darlehensverfahren gestoppt werden. Statt Arbeitslosengeld (ALG) II fordern wir sozialversicherungspflichtige Jobs für zehn Euro pro Stunde bei einer 30-Stunden-Woche. Wenn dazu die unverbrauchten Mittel für Ein-Euro-Jobs, die ebenfalls den Betroffenen keine Perspektive bieten, und die Mehrkosten im Bundeshaushalt für Hartz IV sinnvoll verwendet würden, könnten umgehend 670000 Beschäftigungen für ein Jahr geschaffen werden.

Mittel- und langfristig müßte es zum Ausbau der vorgeschlagenen Zehn-Euro/30-Stunden-Projekte für ein nachhaltiges Arbeits- und Integrationsprogramm kommen, mit dem die Mängel im kommunalen Bereich, im Natur- und Landschaftsschutz, in der Betreuung und Pflege von Kindern und Senioren sowie im Bildungsbereich beseitig werden. Es gibt hier so viele ungelöste Aufgaben, daß über lange Zeit viele Menschen gebraucht werden. Zentral ist dabei natürlich eine Bezahlung, die eine menschenwürdige Existenz und die Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben ermöglicht.

F: Ein eher kurzfristiger Ausblick auf den Herbst dieses Jahres: Hat die Regierungskoalition der CDU/CSU sowie der FDP das Feld bereitet? Diese Parteien haben ja alle Chancen, die neue Bundesregierung zu stellen.

Die bisherige Politik war auch schon das Ergebnis einer ganz großen Koalition. Am 19. September 2005 wird es, wenn es zur Bundestagswahl kommt, eine andere Geschäftsführung für die gleiche Politik geben. Also: »business as usual« mit Neokonservatismus und Neoliberalismus.

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blattschluss nrw?

Clements dreifache Heimkehr

Rot-Grün sorgte sich um die Medienflaute in NRW. Aus und vorbei. Jetzt ist Schwarz-Gelb am Zug. Anmerkungen von taz-Medienredakteur Steffen Grimberg

Quelle: taz vom 11. Juni 2005

Früher war es an Rhein und Ruhr, so wollte es die Legende, mit den aus dem Dienst scheidenden AmtsträgerInnen ganz einfach: Wer seine Zeit in der Politik ohne Silberlöffelklau oder schangelige Rotlichtverstrickung hinter sich gebracht hatte - ging zu den Stadtwerken. Kommunale Versorgungsbetriebe glänzten, so dachte man jedenfalls an der Basis, mit ganzen Etagen für Frühstücksdirektoren, die sich hier an der sozialdemokratischen Variante von "Ausgesorgt plus Zeit für's Golfspielen" laben konnten.

Die klassischen Stadtwerke und Energieversorger werden aber weniger, und so zieht es SPD-Spitzenpersonal heutzutage zur Essener WAZ-Gruppe, Deutschlands größtem regionalen Zeitungshaus. Vor allem bei Politikern, die neben NRW auch dem Bund treu gedient haben, steht der Konzern hoch im Kurs. Ex-Kanzleramtsminister Bodo Hombach ist schon eine Weile da. Und bald, raunt es auf der Achse Berlin-Düsseldorf-Essen, könnte sich auch Superminister Wolfgang Clement auf den Weg machen - wenn er nach den Neuwahlen im Herbst ein a.D. auf der Visitenkarte findet.

Für Clement wäre es so etwas wie eine dreifache Heimkehr. Der Mann ist schließlich Bochumer - und Journalist. Bis zum Einstieg in die Politik arbeitete Clement beim WAZ-Blatt Westfälische Rundschau (WR) in Dortmund. Und der WAZ hielt er auch als Minister die Treue. Nein, nicht was Sie wieder denken. Aber Clement setzte bei seiner Variante der Neuregelung des besonderen Fusionsrecht für die Presse auf das WAZ-Modell: Solange die Redaktionen separat und unabhängig nebeneinander herwurschteln, sollten beinahe beliebig viele Zeitungen unter dem Dach eines Verlages versammelt werden können - marktbeherrschende Stellung hin oder her. Kleiner Schönheitsfehler: Auch das WAZ-Modell zeigt mittlerweile Macken. Wo beispielsweise wie in Dortmund WAZ und WR unter einem Dach konkurrieren, wird in Zeiten knapper Kassen schon mal wenn nicht gleich der ganze Lokalteil, so doch immerhin der nicht unwichtige Lokalsport fusioniert. Dennoch: An Rhein und Ruhr ist die Zeitungsvielfalt so groß wie sonst fast nirgends mehr in Deutschland. Einzeitungskreise sind in ganz NRW eher die Ausnahme. Die taz NRW sorgt mit dafür, dass das so bleibt.

Aber wieso "dreifache" Heimkehr, werden Sie jetzt berechtigterweise fragen. Nun, die WAZ-Gruppe wird trotz ihrer Größe wie ein mittelständisches Unternehmen geführt. Und das auch noch - Bodo Hombach kann ein Lied davon singen - von zwei nicht immer ganz konfliktfrei agierenden Familienclans. Wenn das beim zwischen alle Parteiflügel geratenen Wirtschaftsminister nicht heimatliche Gefühle weckt. Glückauf!

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Kommentar

Kartell der Einfallslosigkeit

DAS SCHLAGLOCH

Von Klaus Kreimeier

Quelle: taz vom 08. Juni 2005

An einer gelungenen Performance ist dem Medienkanzler offenbar nicht mehr gelegen. Nur mit seinem Rücktritt würde Gerhard Schröder Selbstachtung beweisen und sich den Respekt einer breiten politischen Öffentlichkeit sichern können. Statt dessen wird er, in Kollaboration mit einem müde gewordenen Kabinett, die verfassungsrechtliche Trickserei mit der "Vertrauensfrage" durchziehen. Dass er uns nun wieder einen seiner Fakes zumutet, hat einen Beigeschmack von Würdelosigkeit. Es verwischt obendrein die klare Sicht auf die Ausmaße des Desasters. Wolfgang Clement zum Beispiel, der größte Unglücksrabe der rot-grünen Regierung, kann seine Klempnerei mit Hartz IV, Ich-AGs und Ein-Euro-Jobs noch immer als sozialpolitische Erfolgsstory verkaufen.

Seit Münteferings Ankündigung vorgezogener Wahlen ist überdeutlich geworden, dass sich nicht nur die Machtverhältnisse verschoben haben - und dass nicht nur die Architektur der Parteienlandschaft gravierenden Verwerfungen ausgesetzt ist. Vielmehr treibt unsere politische Kultur in eine Krise: nicht, weil die nächste Regierung nach Lage der Dinge von einer schwarz-gelben Koalition gebildet werden wird, sondern weil sich schon unter der jetzigen ein breites Kartell der Einfallslosigkeit zusammengebraut hat. Alle warten nun auf Merkel mit ihrer Kiste neuer Werkzeuge. Die neuen Instrumente werden sich von den alten freilich nur darin unterscheiden, dass sie das Primat der Politik noch rasanter als bisher an eine von den gesellschaftlichen Bedürfnissen längst abgelöste Wirtschaftsdynamik ausliefern werden: an die Diktatur der Börse, an Shareholdervalues und internationale Investitionsgesellschaften.

Manche Leute hoffen darauf, dass es unter einer Kanzlerin Angela Merkel mit Rot-Grün "endlich wieder" eine linke Opposition geben werde. Links könnte aber nur eine Opposition sein, die dem Politischen wieder zu seiner zivilisatorischen Funktion verhelfen könnte: zu seiner Subjektgestalt in einer von Menschen gemachten und nicht von den Konzernen als Naturschicksal verhängten Geschichte. Diese Opposition wird es nicht geben. Sicher, die "Linken" in der SPD werden in der kommenden Legislaturperiode von Fall zu Fall der "sozialen Gerechtigkeit" rhetorische Kränze flechten. Aber das, was sie so bezeichnen, bewegt sich schon jetzt in den eng gezogenen Grenzen jener neoliberal definierten "Agenda 2010", die die SPD-Linke selbst, wenn auch zähneknirschend, mit auf den Weg gebracht hat. Das Kartell der Einfallslosigkeit steht - gerade auch dank der Unterwerfungspolitik, zu der sich die Redlichen und Gerechten um Ottmar Schreiner verbiegen ließen.

Und die Grünen? Als parlamentarische Alternative, die mit neuen Inhalten und frischen Ideen aufwartet, haben sie in den letzten sieben Jahren ihre Seele verkauft. Als Mehrheitsbeschaffer, die wie einst die FDP dem jeweiligen Wahlsieger ihre Dienste als Koalitionspartner offerieren, sind sie (noch) nicht im Geschäft. Eine Situation zwischen Baum und Borke, die ihnen im September den bundespolitischen Garaus bereiten könnte. Es rächt sich, dass die Grünen, ihrer linken Herkunft ungeachtet, nie ernsthaft und kontinuierlich über eine intelligente Wirtschafts- und Sozialpolitik nachgedacht, sondern sich darauf beschränkt haben, das konzeptionslose Flickwerk von Schröder/Clement lautlos durchzuwinken: einer Klientel zuliebe, der die allgemeine Finanzlage wurscht ist, solange die eigene Kasse stimmt.

Auf der Strecke blieb, was 1998 als "sozial-ökologische Erneuerung" zum "rot-grünen Projekt" geadelt worden war: Der soziale Umbau geriet zur Demontage, die ökologischen Innovationen blieben im Dosenpfand und im langsamen Abschied von der Atomenergie stecken. Es ist richtig, dass die große Koalition des "Weiter so", die nach den Wahlen, in welcher parteipolitischen Zusammensetzung auch immer, die Geschicke der Republik lenken wird, nach einer linken Opposition geradezu schreit. Nur - das Pathos, das in der Beschwörung einer "historischen Chance" der Linken widerhallt, klingt hohl, solange kleinkarierte Polittechnokraten Prozentzahlen nachrechnen und zwei egomane Aussteiger aus dem Politgeschäft nicht so genau wissen, ob und wie sich die historische Stunde medienwirksam mit ihrem Comeback synchronisieren lässt.

Doch die wirkliche Ursache der linken Misere liegt tiefer. Sie besteht darin, dass auch PDS und WASG, Gysi wie Lafontaine nichts anderes als den alten Staats- und Wachstumssozialismus anzubieten haben, der nur die Aufteilung des Kuchens anders, nämlich nachfrageorientiert organisieren will. Ein bisschen Keynes, ein bisschen Marx - und ziemlich viel Moral. Im Ruf nach wirtschaftlichem Wachstum finden alle- von den neoliberalen Schnelldenkern bis zu den Orthodoxen in der PDS - trotz gelegentlicher Kakofonie den gleichen Kammerton. Dabei ist seit mehr als drei Jahrzehnten unbestreitbar, dass unser Produktionssystem die Grenzen des Wachstums erreicht hat und, bei unverändertem Kurs, die Energieressourcen der Menschheit in absehbarer Zeit erschöpft, ihre Lebensgrundlagen zerstört sein werden. Wer sehenden Auges noch immer Wachstum predigt, betreibt angewandte Idiotie.

In der Gründungsphase der Grünen gehörte die Wachstumsfrage zum Kernbestand ihres Denkens, und selbst im "rot-grünen Projekt" schwang noch die Verheißung mit, es gehe um das größere Projekt einer Versöhnung zwischen Mensch und Natur. Eine Linke, welche die kommenden Jahrzehnte mitgestalten will, muss dieses Projekt wieder beleben, anstatt sich daran zu beteiligen, den Verschleißzyklus nützlicher und (zunehmend) unnützer Gebrauchsgüter zu beschleunigen und Mitteleuropa endgültig mit Beton zuzudecken.

Die Entfesselung der Marktkräfte hat die politischen Energien gelähmt und jenes parteiübergreifende Kartell der Einfallslosigkeit zementiert, das für die gegenwärtige Apathie zuständig ist. Einfallslosigkeit kann epidemische Ausmaße erreichen und, weit über den politischen Raum hinaus, die gesellschaftlichen Institutionen infizieren. Sie steckt Gewerkschafts- und Kirchenführer an, befällt die Kommentatoren in den Medien von den Leitartiklern bis zu den Gastronomierezensenten und führt in den Fundamenten des Gemeinwesens, in den Denkweisen der Normalverbraucher zu intellektueller Starre und Lethargie.

Das gilt weltweit. Doch dass China und Indien mit ihren Eliten zu wirtschaftlichen Großmächten aufsteigen, während den ländlichen Massen in Asien und Afrika das Trinkwasser entzogen, die Anbauflächen vernichtet und die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft genommen werden, kann nicht im Sinn einer global funktionierenden Marktwirtschaft sein. Kapitalismus pur ist nicht vernunftbegabt; wer nur wirtschaftet, braucht zivilisierende, in der Regel: linke Impulse. So wie die großen Unternehmer des frühen 20. Jahrhunderts viel von Marx gelernt haben, benötigen auch die Strategen der globalen Märkte von heute geistlichen Beistand: eine linke Ratio, die etwas vom gemeinnützigen Wirtschaften jenseits des Wachstumswahns versteht.

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Clement soll gehen, Steinbrück kommen

Kein Wahlkreis frei: Mit dem Ende von Rot-Grün dürfte auch die bundespolitische Karriere des einstigen "Superministers" Wolfgang Clement zu Ende gehen. Der NRW-Wahlverlierer Peer Steinbrück dagegen gilt in der SPD als neue Wunderwaffe

Von Pascal Beucker

Quelle: taz vom 06. Juni 2005

Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) plant offenbar bereits seinen politischen Ruhestand. Wie es heißt, will er nur als Minister weiter auf der Berliner Bühne mitspielen. Falls seine Partei die Bundestagsneuwahlen im September verliert, wird der SPD-Vize hingegen wohl der Bundespolitik den Rücken kehren.

Clement wolle nicht das Schattendasein eines Hinterbänklers fristen, verlautete aus SPD-Kreisen. "Der weiß doch, dass er in der Opposition bei uns weg vom Fenster ist", so ein Berliner Parteifreund. Deshalb werde sich der innerparteilich umstrittene Clement, der im Juli 65 wird, nicht um ein Bundestagsmandat bemühen. Eine Sprecherin seines Ministeriums bestätigte der taz nrw: "Er hat bislang keines und mir liegen keine Informationen vor, dass sich daran etwas ändern wird."

Der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident verfügt derzeit über keinen Parlamentssitz, da er erst während der laufenden Legislaturperiode 2002 von Düsseldorf nach Berlin gewechselt war. Seinem Landesverband liegt indes bisher noch kein offizieller Verzicht Clements auf eine Bundestagskandidatur vor. "Das Verfahren der Kandidatennominierung ist gerade erst angelaufen", gab sich ein Parteisprecher diplomatisch. Die NRW-SPD will ihre Landesreserveliste am 9. Juli aufstellen. Bis dahin kann sich Clement noch entscheiden. Ein sicherer Platz auf der Liste wäre die einzige realistische Chance für ihn, in den Bundestag zu kommen. Denn die Wahlkreise, in denen die SPD an Rhein und Ruhr noch auf ein Direktmandat hoffen kann, sind rar - und entsprechend begehrt. So hat Axel Schäfer, der bislang Clements Heimatstadt Bochum in Berlin vertritt, bereits seine Wiederkandidatur angekündigt. Kämpferisch erklärte der Sozialdemokrat, der 2002 den Wahlkreis mit 57 Prozent der Erststimmen gewonnen hatte, seinen Platz auch dann nicht räumen zu wollen, wenn ihn Clement für sich beanspruchen sollte. Der könne ja beim Nominierungsparteitag gegen ihn kandidieren, bemerkte Schäfer gegenüber der taz nrw süffisant - und wissend, dass der vor allem an der Parteibasis äußerst unbeliebte "Superminister" da schlechte Karten hätte.

Anders sieht der Fall bei Clements Nachfolger in der Düsseldorfer Staatskanzlei aus: Der als Ministerpräsident bei der Landtagswahl am 22. Mai abgewählte Peer Steinbrück wird von der SPD kräftig gedrängt, sich um ein Bundestagsmandat zu bewerben. Dem 58-jährigen Steinbrück soll sogar bereits signalisiert worden sein, er könne sich aussuchen, in welchem sicheren Wahlkreis er kandidieren wolle. Noch allerdings lässt sich Steinbrück nicht in die Karten schauen, ob er bereit ist, vom Rhein an die Spree umzuziehen. Wie aus dem Parteivorstand zu vernehmen war, will er sich heute darüber mit dem Kanzler beraten.

Heftig dementiert haben Regierung und SPD indes einen Bericht der SZ, wonach Steinbrück im Falle einer SPD-Niederlage den Fraktionsvorsitz von Franz Müntefering übernehmen solle.

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Kein Wahlkreis für Superminister

NRW-Politiker rangeln um sichere Plätze für Bundestagswahl. SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement droht das politische Aus. JU-Chef Mißfelder will kandidieren - hat aber keinen Wahlkreis

Von Martin Teigeler

Quelle: taz vom 04. Juni 2005

Wolfgang Clement droht das politische Aus. Nach taz nrw-Informationen wird der SPD-Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit in seiner Heimatstadt Bochum keinen Wahlkreis für die wahrscheinliche Bundestagswahl am 18. September bekommen. "Ich bin der Bochumer Abgeordnete", sagte SPD-Parlamentarier Axel Schäfer auf Anfrage. Clement könne ja beim Nominierungsparteitag gegen ihn kandidieren, so Schäfer. Auf die Frage, ob der Minister ein Bundestagsmandat anstrebe, antwortete eine Sprecherin des Clement-Ministeriums: "Er hat bislang keines und mir liegen keine Informationen vor, dass sich daran etwas ändern wird." Nach Auskunft von Mitgliedern der NRW-SPD-Landesgruppe hätte Clement auch keinen Wahlkreis gekriegt. Ein Parlamentarier zur taz: "So wie der aufgetreten ist, hat der keine Chance."

Bei einer Sitzung der NRW-SPD-Landesgruppe in Berlin sei die Personalie Clement in dieser Woche kein Thema gewesen, sagt ein Sitzungsteilnehmer. "Er hat nicht nach einem Wahlkreis gefragt, und auch keinen angeboten bekommen." Seit der Wahlniederlage der NRW-SPD vor zwei Wochen ist das Ansehen des vermeintlichen "Superministers" weiter rapide gesunken. Die Genossen machen die von Clement zu verantwortende Arbeitsmarktreform Hartz IV für die Wahlpleite verantwortlich. Laut Zeitungsberichten kam es vor einigen Tagen zum offenen Krach zwischen Clement und SPD-Chef Franz Müntefering. Angeblich soll Clement seine Partei mit einer Rücktrittsdrohung von einem Verzicht auf die geplante Senkung der Unternehmensteuern abgehalten haben. Vor der NRW-Wahl hatte die Bundesregierung Presseberichte dementiert, wonach der innerparteilich umstrittene Minister im Falle einer Niederlage im SPD-Stammland gehen müsse.

Unklar bleibt, ob Wolfgang Clement von der nordrhein-westfälischen SPD doch noch auf einem Reservelistenplatz nominiert wird. "Das Verfahren der Kandidaten-Nominierung ist gerade erst angelaufen", sagte ein Parteisprecher zur taz. Ein offizieller Verzicht Clements auf ein Mandat liegt aber in Düsseldorf offenbar nicht vor. Der damalige NRW-Ministerpräsident war im Herbst 2002 von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ins Kabinett geholt worden. Wegen des abrupten Wechsels von der Landes- auf die Bundesebene hatte Clement bislang kein Bundestagsmandat. Will der bald 65-Jährige seine politische Karriere in Berlin fortsetzen, dürfte er bei der vorgezogenen Wahl im Herbst auf einen Platz im Parlament angewiesen sein. Ohne Mandat wäre Clement politisch geschwächt und müsste darauf hoffen, dass er erneut auf einen Regierungsposten berufen wird.

Andere bisher mandatslose Kabinettskollegen kandidieren dagegen für den Bundestag. So soll Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bei einer vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst den Wahlkreis Darmstadt für die SPD verteidigen. In NRW wird indes eine Bundestagskandidatur des abgewählten SPD-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück immer wahrscheinlicher. NRW-SPD-Landesgruppenchef Hans-Peter Kemper, der dem Vernehmen nach nicht wieder antritt, könnte Steinbrück seinen Wahlkreis Borken-Bocholt überlassen, heißt es. Auch eine Kandidatur Steinbrücks im Ruhrgebiet ist im Gespräch - zusätzlich könnte er auf Platz 1 der Liste antreten. In den nächsten Tagen entscheidet Steinbrück, ob er nach Berlin geht.

Auf Wahlkreissuche muss sich auch Philipp Mißfelder, Bundesvorsitzender der CDU-Nachwuchsorganisation Junge Union, begeben. "Ich habe klare Ambitionen zu kandidieren", sagte Mißfelder der Netzeitung. Parteifreunde lästern schon über die Bemühungen des 25-jährigen Nachwuchspolitikers. "Erst hat er einen Wahlkreis in Bochum gesucht, dann hat er einen Korb bei der CDU in Essen bekommen", sagt ein CDU-Landespolitiker. Jetzt sei eine Bewerbung im Wahlkreis 122 (Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Waltrop) möglich. Für diesen Fall müsste sich Mißfelder auf einen harten Wahlkampf einstellen. Denn ein denkbarer Gegenkandidat in dem traditionellen SPD-Stimmbezirk ist eben auch Noch-Ministerpräsident Peer Steinbrück.

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Die Schlangen bleiben

Offiziell 4,807 Millionen Menschen in BRD erwerbslos. Statistiker sehen »jahreszeitlich übliche Belebung«, doch »saisonbereinigt« Stagnation auf Rekordniveau

Quelle: junge Welt vom 01. Juni 2005

Die amtliche Zahl der Erwerbslosen fiel im Mai etwas geringer aus als noch im April. Wie die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag verkündete, waren im abgelaufenen Monat insgesamt 4,807 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet – 161000 weniger als im April, aber 513000 mehr als im Mai 2004. Die offizielle Erwerbslosenquote sank gegenüber dem Vormonat von 12,0 auf 11,6 Prozent.

Das Klima auf dem deutschen Arbeitsmarkt bleibt dennoch weiter eiskalt. BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise begründete den leichten Rückgang der Zahlen zwar mit der jahreszeitlich üblichen Belebung. Um diese Einflüsse bereinigt bliebe die Zahl der Erwerbslosen aber im Vergleich zum Vormonat unverändert, räumte die BA ein. »Wir können weder konjunkturelle Impulse auf dem Arbeitsmarkt ausmachen, noch haben Sondereffekte eine nennenswerte Rolle gespielt«, enttäuschte Weise mögliche Hoffnungen bei manchem von SPD und Grünen. Zudem seien die Zahlen weiterhin mit »Unschärfen« behaftet, so der BA-Chef.

Eine dieser Unschärfen ist die Zahl der in den sogenannten Optionskommunen tatsächlich vorhandenen Erwerbslosen. In jenen 69 Städten und Gebieten, die »Hartz IV« selbst exekutieren, vermutet die BA immerhin 81000 unregistrierte Erwerbslose. Auch sei die deutlich höhere Zahl der Erwerbslosen im Vergleich zum Mai 2004 nicht ausschließlich durch »Hartz IV« zu begründen. Nach BA-Angaben seien rund 360000 zusätzliche statistisch erfaßte Erwerbslose auf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zurückzuführen.

Zugenommen habe die Zahl der Erwerbstätigen, vermeldete das Statistische Bundesamt. Im April seien es 140 000 mehr als im Vormonat gewesen, so die Behörde. Die Beschäftigungsgewinne im Vorjahresvergleich seien jedoch nach wie vor überwiegend auf Zuwächse bei »Minijobs«, auf die sogenannten Ein-Euro-Jobs und die geförderten selbständigen Beschäftigungen (»Ich-AG«) zurückzuführen, so das Bundesamt. Vor diesem Hintergrund hatte BA-Chef Weise den überraschend starken Abbau regulärer Jobs als »irritierend« bezeichnet. Gegenüber dem Vorjahr seien im März 300000 solcher Arbeitsplätze verlorengegangen.

Von Politikern kamen erwartungsgemäß Wahlkampfstatements. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sah im Gegensatz zur BA den Beginn eines Aufschwungs: »Die doch ermutigenden Konjunkturindikatoren, die uns am Beginn einer konjunkturellen Aufwärtsentwicklung zeigen, zeigen uns auch, daß wir auf dem richtigen Weg sind«, phraste der Minister.

CDU-Generalsekretär Volker Kauder warf dagegen der Bundesregierung vor, sie sei auf allen Feldern handlungsunfähig. Sie verhalte sich »wie ein Sitzenbleiber, der schon vier Monate vor Ende des Schuljahres nichts, aber auch gar nicht mehr unternimmt«. Die Union wolle ein konkretes Konzept zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in ihrem Regierungsprogramm vorstellen, das am 11. Juli präsentiert werden soll.

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kommentar

Steinbrück konnte nicht gewinnen

Von Christoph Schurian

Quelle: taz vom 23. Mai 2005

Peer Steinbrück hat die Wahl nicht verloren. Und nicht Jürgen Rüttgers errang den Sieg für die CDU. In Düsseldorf ging es auch nicht ums rot-grüne Modell: Die WählerInnen stimmten ab über Wolfgang Clement, den Bundessuperminister und Ex-Ministerpräsidenten. Der Machtverlust für die SPD nach 39 Jahren ist vor allem eine Quittung für die Berliner Arbeitsmarktpolitik unter Clement.

Durch Hartz IV und die Einführung des "Arbeitslosengeld II" haben sich Partei und Klientel einander entfremdet. Im traditionell auf Solidarmodelle geeichten NRW wollten die WählerInnen nicht akzeptieren, dass Arbeitslose gleich gemacht wurden und allen sozialer Abstieg droht, ob sie nun vierzig Jahre lang malocht haben oder nur zwei. Statt die Ängste vor der Sozialhilfe zu nehmen, wurden sie im Hause Clement noch geschürt. Und die NRW-Ausgabe des Superministers, Harald Schartau, war überfordert von einem Ressorttitel, der Arbeit und Wirtschaft vereinbarte: Der SPD-Landeschef verkleidete sich im Zweireiher und verabschiedete sich aus aktiver Arbeitsmarktpolitik. Auch die Prozentpunkte der "Wahlalternative" zeigen, welcher Unmut unter Sozialdemokraten herrscht.

Die Niederlage der NRW-SPD ist aber auch eine Quittung für Clements Düsseldorfer Zeit. Fast bekommt man Mitleid mit Peer Steinbrück. Wäre es nur um ihn gegangen, der einstige Finanzminister hätte wohl nicht verlieren müssen.

Aus der zerstrittenen Koalition mit den Grünen wurde erst unter ihm eine Arbeitsallianz. Das im Juni 2003 nach einem Koalitionskrach ausgehandelte "Düsseldorfer Signal" justierte 2003 endlich rot-grüne Leitlinien für NRW. Clementsche Ankündigungspolitik wie Übellaunigkeit wurden überwunden. Der Metrorapid wurde fallengelassen, der Kohleabbau unterm Rhein zum Risiko erklärt, die einstige Landesbank WestLB mit ihrem roten Finanzkommando wurde reformiert, sogar ein Antikorruptionsgesetz auf den Weg gebracht. Trotz Haushaltskrise traten lebensweltliche Interessen wie die Ganztagsschule in den Vordergrund - das Kabinett Rüttgers wird sich nicht nur hier ins gemachte Nest setzen.

Dem Gewinner Rüttgers kam ausgerechnet seine Profillosigkeit zu Gute: Der Langzeit-Oppositionschef wurde zum offiziellen Spruchkastenverwalter von Johannes Rau. Rüttgers predigte nun "Versöhnung" im Lagerwahlkampf. Dem Wahlvolk nahm er so die Angst vorm harten Wechsel. Bleibt auch Schwarz-Gelb beim Kurs der Harmonie, könnte der 22. Mai im sozialromantischsten aller Bundesländer der Anfang einer neuen Ära sein.

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CDU will an die Fleischtöpfe

Nordrhein-Westfalen wählt am Sonntag neuen Landtag. Plattheiten und Leerformeln im Wahlkampf. WASG und PDS sind chancenlos

Von Peter Wolter

Quelle: junge Welt vom 21. Mai 2005

Gehirntumor oder Lungenkrebs – etwa auf diese Alternative reduziert sich die Landtagswahl, zu der am Sonntag in Nordhein-Westfalen (NRW) 13,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger aufgerufen sind. Ob der bisherige Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) oder sein CDU-Konkurrent Jürgen Rüttgers gewählt wird, dürfte relativ egal sein: Beide versprechen das Blaue vom Himmel, beide betreiben eine neoliberale Politik des Abbaus von Arbeitsplätzen, Sozialleistungen und demokratischen Rechten. Wohl selten war ein Wahlkampf derart von Plattheiten und dumpfen Leerformeln geprägt.

Bedeutungslos ist die Wahl allerdings nicht – sie wird sich wohl auf die gesamtstaatliche Machtbalance zwischen den bürgerlichen Lagern SPD/ Grüne und CDU/CSU/FDP auswirken. Sollte die SPD am Sonntag durch den Rost fallen, könnten auch auf Bundesebene die Karten neu gemischt werden. Die Spekulationen reichen von der Bildung einer Großen Koalition bis zu vorgezogenen Neuwahlen. Sollte hingegen der Fall eintreten, daß SPD und Bündnis 90 / Die Grünen noch gerade die Kurve kriegen, können Gerhard Schröder (SPD) und Joseph Fischer (Grüne) erst einmal ungestört weiterregieren.

Filz-Vorwurf nicht falsch

»39 Jahre sind genug« hieß eine der Wahlkampfformeln, mit der die CDU zwischen Rhein und Weser versuchte, Punkte zu machen. Allerdings fordern die Christdemokraten damit keine neue Politik – es geht lediglich darum, daß die CDU-Klientel an die Fleischtöpfe der Ministerien, Verbände und Aufsichtsräte drängt. Dort spreizten sich bislang eingefleischte Sozis – wer sich im Ruhrgebiet auskennt, weiß, daß die CDU mit ihren seit Jahrzehnten erhobenen »Filz«-Vorwürfen nicht unrecht hat.

Das erst 1946 auf Anordnung der britischen Besatzungsmacht gegründete NRW ist ein Kunst-Land, zusammengesetzt aus früher preußischen Provinzen. Während die meisten Großstädte und vor allem das Ruhrgebiet eher links wählten, war das katholisch geprägte platte Land stramm auf Zentrums- und später auf CDU-Kurs. Nach dem Kriege waren sich fast alle Parteien darin einig, daß der Kapitalismus abgewirtschaftet hatte. Dessen Abschaffung forderte 1947 in ihrem Ahlener Programm sogar die CDU. Und es war CDU-Ministerpräsident Karl Arnold, der ein Jahr später ein vom Landtag verabschiedetes Gesetz über die Verstaatlichung aller Kohlezechen unterschrieb. Kurz darauf konnten die Zechenbosse aufatmen, die britische Besatzungsbehörde annullierte das Gesetz.

Mit einer zweijährigen Unterbrechung stellte die CDU in den ersten beiden Jahrzehnten den Ministerpräsidenten. Das änderte sich 1966, als mit Heinz Kühn die SPD die Regierung übernahm und bis heute nicht mehr abgab. Die 39 SPD-Jahre waren von zahlreichen Skandalen und Fehlleistungen geprägt, die in der Mehrheit auf das Konto des Minister- und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau gingen. Mit seinem Namen verbunden sind nicht zuletzt die Milliarden, die im Klinikum Aachen, im Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop und im Schnellen Brüter in Kalkar versickerten. Und sein Nachfolger Wolfgang Clement kam auf die Schnapsidee, eine Magnetschwebebahn für den Personennahverkehr zwischen den Ruhrgebietsstädten zu bauen. Daraus wurde nichts, Clement tobt seine Ignoranz jetzt im Bundeswirtschaftsministerium aus.

Das war’s wohl, SPD

Die SPD-Ära ist – den jüngsten Umfragen zufolge – wohl erst einmal vorbei. Die CDU wird im Prinzip deren Politik fortsetzen, wahrscheinlich in schnellerem Schritttempo. Die SPD wird erst einmal ihre Wunden lecken und ein paar radikale Sprüche über Kapitalismus und böse Manager zum besten geben – glauben wird es ihr ohnehin niemand.

Und dabei gäbe es in NRW genügend linkes Potential, um nicht nur bei Streiks und Demonstrationen, sondern auch im Parlament dem Kapital den Stinkefinger zeigen zu können. Aber die Linksparteien WASG und PDS treten nicht gemeinsam, sondern gegeneinander an – keine hat die Chance, auch nur in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Die WASG ist neu im Geschäft, die PDS wurschtelt schon seit Jahren relativ erfolglos vor sich hin. Und die DKP tritt erst gar nicht zur Wahl an. Über eine solche Opposition kann sich das Kapital nur freuen.

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Trotz Prügel ungeschlagen

Sie hätten MTV haben können, nun sind sie auch Viva los: Die Bilanz des Medienstandortes NRW ist düster - auch wenn Ministerpräsident Steinbrück das vor der Landtagswahl morgen bestreitet

Von Sebastian Sedlmayr und Steffen Grimberg

Quelle: taz vom 21. Mai 2005

Für Rot-Grün ist es angeblich eine "Schicksalswahl", doch während frühere NRW-Landesregierungen stets mit ihrer Bilanz in Sachen Medienstandort Nordrhein-Westfalen hausieren gingen, spielte die Medienpolitik im Wahlkampf 2005 eigentlich gar keine Rolle. Bis dann am Mittwoch die "Information der Landesregierung "490/5/2005" aus dem Fax quoll: "NRW weiterhin Film- und Fernsehstandort Nr. 1".

Endlich eine gute Nachricht in der ansonsten verhagelten Medienbilanz von NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD). Dabei hätte die gar nicht so schlecht aussehen müssen. MTV zum Beispiel könnte heute auch aus Köln senden. Helmut G. Bauer, damals Geschäftsführer der landeseigenen NRW Medien GmbH, hatte den seinerzeit umzugswilligen Musiksender von München an den Rhein zu lotsen versucht - sagt er. Das war 2002, doch die Landesregierung in Person ihrer parteilosen Medienstaatssekretärin Miriam Meckel stellte sich dagegen: "Ich hatte mich um MTV bemüht, aber Frau Meckel sagte, ich solle die Aktivitäten nicht fortsetzen, weil das nicht im Sinne von Viva sei", so Bauer gestern zur taz. Ironie verfehlter Medienpolitik: Viva wurde mittlerweile vom Erzkonkurrenten geschluckt, geht in der MTV-Senderfamilie auf - und zieht vom Rhein an die Spree.

Schon 2003 von NRW in die Hauptstadt abgeworben wurde auch die weltgrößte Musikmesse Popkomm. Wieder hätte man handeln können, sagt Bauer ("Ich habe zweimal von Miriam Meckel Prügel bezogen") heute. "Ich habe vor dem Umzug der Popkomm gesagt: Wir müssen mit Dieter Gorny sprechen", so Bauer, der früh von den Berliner Plänen Wind bekommen hatte. Doch auch da habe Meckel die Hand über den Viva-Begründer gehalten und abgewehrt: Das seien alles "nur Gerüchte".

Dabei bleibt Meckel auch jetzt: "Nur Gerüchte", die zu kolportieren sie "erstaunlich" fände, seien Bauers Einlassungen, so Meckel gestern zur taz. Zu dem "Unsinn" habe sie nichts zu sagen.

Wegen anhaltender Erfolglosigkeit wurde die NRW Medien GmbH 2003 aufgelöst, Bauer, dessen Vertrag offiziell bis 2006 lief, geschasst. Heute arbeitet der ehemalige Radio-NRW-Geschäftsführer wieder als Anwalt und Medienberater. Er frage sich, warum momentan so viel vom "Ende des Medienstandorts Köln" zu lesen sei. "Die Signale gab es doch schon viel früher", sagt Bauer, "aber die Landesregierung hat nicht entsprechend reagiert." Wichtig sei, dass es einen zentralen Ansprechpartner gibt, "wie damals Wolfgang Clement". Unter dem heutigen Bundeswirtschaftsminister und ehemaligen NRW-Regierungschef hatte Medienpolitik erste Priorität im Lande. "Ich will mit der Entwicklung der Fernseh-, Film- und Kommunikationswirtschaft in NRW nicht nur in Deutschland auf Platz eins, sondern in Europa", hatte Clement (SPD) 1998 via Spiegel verkündet. Doch viele von Clements ehrgeizigen Projekten entpuppten sich als Rohrkrepierer. Nachfolger Steinbrück übernahm ein schwieriges, am Tropf der öffentlichen Hand hängendes Terrain. Der Medienetat der Staatskanzlei wurde gleich nach seinem Amtsantritt 2003 von 41 auf 28 Millionen Euro gekürzt, der Standortwettbewerb eigentlich für tot erklärt.

"Als Film- und Fernsehstandort bleibt NRW ungeschlagen die Nummer 1", erklärte Steinbrück dann plötzlich am Mittwoch: "Angesichts manch kritischen Abgesangs auf den Medienstandort NRW" sprächen die aktuellen Zahlen "eine eindeutige Sprache". Allerdings wurde diese einsame Spitzenposition nur erreicht, weil man einfach die im Land hergestellten Sendeminuten addierte. Eine Zählweise, die schon bei ihrer ersten Präsentation vor einigen Jahren in der Branche vor allem Spott geerntet hatte: Dass in der TV-Fabrik Köln dank RTL & Co. vor allem viel (und relativ billiges) Fernsehen von der Stange produziert wird, ist so neu eben nicht.

Mit diesem Pfund können - je nach Wahlausgang am Sonntag - auch künftige Landesregierungen wuchern. Wer allerdings nach einem Sieg der CDU-FDP-Opposition den medienpolitischen Stab in NRW übernimmt, ist genauso undurchsichtig wie das zugehörige Konzept. Einzig der FDP-Mann Stefan Grüll ist durch halbwegs konstruktive Überlegungen aufgefallen. Doch das war 2003, und bei der Wahl 2005 rangiert Grüll auf einem eher aussichtslosen Listenplatz.

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NRW - Das Mekka der Medienflops

Ministerpräsident Peer Steinbrück muss sich von den hochfliegenden Medien-Projekten seines Vorgängers Wolfgang Clement verabschieden. Es ist unübersehbar, dass der Lack vom Medienstandort in NRW ab ist.

Von Lutz Meier und Jens Tartler

Quelle: Financial Times Deutschland vom 17. Mai 2005

Peer Steinbrück, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen
© AP
GroßbildansichtPeer Steinbrück, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen

Das jüngste Verdikt stammt von Harald Schmidt. "Der Zenit ist überschritten, keine Frage", urteilte der Comedian vor kurzem über den Medienstandort Köln und Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig äußerte er wenig Hoffnung, dass man den Niedergang noch aufhalten könne: "Schwer zu sagen. Vielleicht müsste die Regierung sich stärker einmischen." Aber das habe ja schon nicht geklappt, als jüngst der Musiksender MTV den Kölner Konkurrenten Viva geschluckt und kurz darauf nach Berlin verfrachtet hat. Knapp 300 Arbeitsplätze sind davon betroffen.

Der Lack ist ab beim Medienstandort NRW, das ist unübersehbar. Nicht nur bei Viva verschwinden staatlich gepäppelte Medienarbeitsplätze auf Nimmerwiedersehen. "Schubumkehr und Abbau", so fasst der Kölner Branchenberater Lutz Hachmeister die Medienpolitik von Ministerpräsident Peer Steinbrück zusammen. Die Folge: "München und Berlin haben aufgeholt, hier ist wenig passiert."

Dabei waren die Ziele hoch gesteckt. "Um es klar zu sagen: Ich will mit der Entwicklung der Fernseh-, Film- und Kommunikationswirtschaft in NRW nicht nur in Deutschland auf Platz eins, sondern in Europa", hatte Steinbrücks Vorgänger Wolfgang Clement 1998 getönt. Mit einem großen Topf Subventionen und einem Netzwerk von staatlichen, halbstaatlichen und privaten Institutionen war Clement schon als Staatskanzleichef in den 90er Jahren losgezogen mit der Vision, die Untergangsbranchen Kohle und Stahl durch die virtuellen Glanzwelten der Medien zu ersetzen.

Fragwürdige und überdimensionierte Projekte

Die Branche freute sich zwar über Clements Engagement. Herausgekommen ist dabei allerdings - abgesehen von einer Reihe spektakulärer Pleiten - wenig. Zwar sitzt mit RTL der größte deutsche Privatsender in Köln. Mit dem gebührenfinanzierten WDR, der mit Abstand reichsten ARD-Anstalt, und der Filmstiftung NRW, der europaweit größten Förderinstitution, gibt es auch zwei öffentliche Instanzen, die Geld und Jobs bringen. Um diese herum ist eine Landschaft von Dienstleistern und Produzenten entstanden.

Nach dem Willen der Landesregierung sollten aber an allen Ecken im Land Medienzentren entstehen, nicht nur in Köln: in Düsseldorf, in Dortmund, in Oberhausen, in Bottrop. Doch von den dortigen Projekten ist nicht allzu viel übrig. Und in Köln, dem einzigen Medienstandort in NRW, der wirklich funktioniert, wurde viel Geld in fragwürdige und überdimensionierte bauliche Infrastrukturprojekte gesteckt: Mit Hilfe der Stadtsparkasse Köln, neben der WestLB der wichtigste Finanzier der Clement’schen Projekte, entstanden etwa der Mediapark und der Studiokomplex Coloneum am Rande der Stadt. Beide Projekte hatten lange Probleme mit der Auslastung.

Der größte Flop der Düsseldorfer Medienpolitik war das Trickfilmzentrum Oberhausen (HDO), von der Politik mit mehr als 50 Mio. Euro subventioniert. Vorübergehend gab es gerade einmal 25 Arbeitsplätze, dann kam die Pleite. Das Europäische Medieninstitut, 1991 aus Manchester abgeworben, schrumpfte von zehn Mitarbeitern auf einen, der nun bei der Universität Dortmund angedockt wurde. Die NRW Medien GmbH, die eigentlich die Aktivitäten des Landes bündeln sollte, wurde mittlerweile von der Staatskanzlei abgewickelt. Das Medienforum in Köln dümpelt vor sich hin. Das Multimedia Support Center in Köln wurde dichtgemacht, weil es ohne öffentliche Mittel nicht lebensfähig war. Dafür gibt es jetzt ein Audiovisuelles Gründerzentrum.

"Wollten zu viel auf einmal erreichen"

Auch Marc Jan Eumann, medienpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, räumt ein: "Wir wollten zu viel auf einmal erreichen, dadurch ging die Schärfe des Profils verloren." Ingrid Haas, Informationsdirektorin bei RTL, fordert Konsequenzen: "Wir brauchen eine Medienpolitik, die eine klare Vorstellung einer positiven und zukunftsoffenen Medienordnung entwickelt - weg vom medienpolitischen Stückwerk der vergangenen Jahre."

Die Musikmesse Popkomm wanderte nach Berlin ab - der Musiksender MTV und der Reiz der Hauptstadt lockten, wie man selbst in der Staatskanzlei eingesteht. Eumann hält aber dagegen: "Die Popkomm darf Berlin gerne haben. Die Nachfolgemesse c/o Pop ist viel innovativer."

Nach all den Misserfolgen der Landesregierung geht Steinbrück das Thema Medien nüchterner an. Er kürzte den Medienetat der Staatskanzlei von 42 auf 28 Mio. Euro, entmachtete die von Clement geholte Medienstaatssekretärin Miriam Meckel, die erfolglos und ungeschickt agiert. Die Projekte seines Vorgängers seien nichts als "eine schöne Tapete, die wir um die Staatskanzlei gelegt haben", sagte Steinbrück.

So zog zwar mehr Realismus ein, doch von der aktiven Medienpolitik verabschiedete sich die Landesregierung weit gehend. Das änderte sich erst wieder, als das Viva-Debakel drohte. Meckel flog in die USA und drohte mit Lizenzentzug, falls Jobs aus Köln abwanderten - vergeblich.

Vier-Augen-Gespräch zwischen Steinbrück und Pleitgen

Dafür hat sich Steinbrück bei der Diskussion über die Rundfunkgebührenerhöhung ins Zeug gelegt. Doch aus den Reformen, die der Ministerpräsident ARD und ZDF verordnen wollte - etwa die Schließung von Radiostationen sowie die von 3sat oder Arte - wurde nichts.

Mit dem Kölner WDR legte sich Steinbrück noch zusätzlich an. Doch als dieser dem Ministerpräsidenten unverhohlen klar machte, dass er gegen die Anstalt die nahenden Landtagswahlen kaum gewinnen würde, traf er sich mit WDR-Chef Fritz Pleitgen zum Versöhnungsgespräch und findet seitdem nur noch lobende Worte über die Anstalt. Das ist dann wieder Medienpolitik der klassischen Sorte.

Clements Ziel als Ministerpräsident war es, Nordrhein-Westfalen zu einem europäischen Medienzentrum zu machen. Dafür förderte er landesweit mit erheblichen Subventionen zahlreiche kleine Projekte - die nach kurzen Anlaufphasen scheiterten.

Steinbrück Ministerpräsident Peer Steinbrück stoppte die kleinteilige Projektförderung und kürzte den medienpolitischen Etat von 42 Mio. Euro auf 28 Mio Euro. Einsparmöglichkeiten auch bei öffentlich-rechtlichen Anstalten wurden allerdings verhindert.

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ein-euro-jobs

Maßnahmen für die Statistik

KOMMENTAR

Von Natalie Wiesmann

Quelle: taz vom 10. Mai 2005

60 von 2.500 Ein-Euro-Jobbern, das heißt nicht einmal drei Prozent, nutzen ihre Arbeitsgelegenheit für die berufliche Perspektive - auf eine weitere Qualifzierungsmaßnahme oder einen Minijob. Keine wirklich gute Bilanz zur Wiedereingliederung der Arbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahlen aus Dortmund stehen repräsentativ für eine Arbeitsmarkpolitik, die für die Betroffenen rein symbolischen Charakter hat: Schaut mal, durch uns lernt ihr wieder das frühe Aufstehen, das regelmäßige Arbeiten.

In Wirklichkeit profitieren nur die sozialen Einrichtungen oder finanziell gebeutelten Kommunen von den Ein-Euro-Jobbern. Der größte Nutznießer ist Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement: Er konnte Ende April eine Senkung der Arbeitslosenzahl verkünden - die Ein-Euro-Jobber waren aus der Statistik herausgestrichen worden. Verlierer sind die ausgebildeten Fachkräfte, weil sie im Vergleich zu den Ein-Euro-Jobbern zu teuer sind. Und natürlich die Arbeitslosen selbst: Denn wenn ihr Job zu Ende geht oder sie von einer Qualifizierungsmaßnahme zur anderen gereicht werden, wird ihnen die Lust am frühen Aufstehen vergehen - und sie fallen wieder zurück in die Lethargie, aus der sie für die Statistik herausgeholt wurden.

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Inland

Hartz droht mit neuen Vorschlägen

»Der Spiegel«: Mehrkosten für »Arbeitsmarktreform« sollen 2006 auf bis zu zehn Milliarden Euro anwachsen

Quelle: junge Welt vom 02. Mai 2005

Die »Hartz«-Reform wird nach einem Spiegel-Bericht deutlich teurer als bislang geplant. Nachdem die Bundesregierung bereits in diesem Jahr rund sechs Milliarden Euro zusätzlich für die Fusion von Arbeitslosen- und Sozialhilfe aufwenden müsse, würden die Mehrkosten im nächsten Jahr auf bis zu zehn Milliarden Euro anwachsen, berichtet das Magazin unter Berufung auf eine interne Schätzung der Bundesregierung. Zudem werde die Bundesagentur für Arbeit in den nächsten Monaten rund 4000 zusätzliche Vermittler zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen einstellen, das zusätzliche Personal werde pro Jahr rund 240 Millionen Euro kosten. Mit der Maßnahme soll darauf reagiert werden, daß sich bei den Agenturen wesentlich mehr Empfänger von Arbeitslosengeld II gemeldet haben als bislang geschätzt.

Der Namensgeber der sogenannten Hartz-Reformen, VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz, kündigte unterdessen neue Vorschläge zur Senkung der Arbeitslosigkeit an. Am 16. August, dem dritten Jahrestag der Vorstellung seiner Reformen, wolle er Bilanz ziehen und danach noch einmal Vorschläge machen, sagte Hartz der Welt am Sonntag. Er sei nach wie vor überzeugt, »daß man das Problem der Arbeitslosigkeit lösen kann«. Einige Module der Reform, die viel Potential enthielten, seien noch nicht umgesetzt worden. Man müsse die Arbeitslosigkeit unabhängig von den politischen Kräfteverhältnissen bekämpfen. Er trat für weitere Unternehmensgründungen ein: »Wir müssen eine Gründerwelle auslösen und alle gesellschaftlichen Gruppen müssen sich engagieren.«

(AFP/jW)

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»Gestörtes Verhältnis«

Statistiker bescheren Superminister Clement ein Absinken der offiziellen Arbeitslosenzahlen unter die »psychologisch wichtige« Fünf-Millionen-Grenze

Von Ulrich Schwemin

Quelle: junge Welt vom 29. April 2005

»Wir werden ab jetzt nie mehr die fünf Millionen überschreiten. Da können Sie Gift drauf nehmen!« Dieses absurde Versprechen gab Wirtschaftsminister Wolfgang Clement am Mittwoch abend bei einer Diskussion mit Beschäftigten und Arbeitslosen in Potsdam. Da kannte er die Arbeitsmarktzahlen für den Monat April bereits, die die Nürnberger Bundesagentur am Donnerstag offiziell verkündete.

Danach ist die Zahl der Arbeitslosen zum ersten Mal in diesem Jahr tatsächlich unter die (»psychologisch wichtige« – wie die Nachrichtenagentur AP vermerkt) Fünf-Millionen-Grenze gefallen. 4,97 Millionen Menschen ohne Job seien im April gezählt geworden. Dies waren 208000 weniger als noch im März, aber 524000 mehr als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote sank von 12,5 Prozent auf zwölf Prozent.

Den überbordenden Optimismus des Superministers wollte sich BA-Chef Frank-Jürgen Weise trotzdem nicht zu eigen machen. Statt dessen übte er sich im Relativieren und erwähnte wegen des kalten März verspätete Effekte der Frühjahrsbelebung. Außerdem habe ein Statistik-Effekt die Zahlen begünstigt: Etwa 20000 ehemalige Arbeitslosenhilfeempfänger, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, hätten im April keinen erneuten Antrag gestellt. Sie rückten damit in die sogenannte stille Reserve, die zwar nicht arbeitet, aber trotzdem nicht mehr als arbeitslos erfaßt wird. Noch nicht in die Statistik aufgenommen sind laut BA jene etwa 90000 ehemaligen Sozialhilfebezieher, die nicht von der BA, sondern von Kommunen betreut werden.

Das Unterschreiten der Fünf-Millionen-Grenze ist demnach lediglich den von Weise erwähnten und anderen statistischen Tricks geschuldet. In Wirklichkeit muß von bis zu neun Millionen Arbeitslosen ausgegangen werden. Das hat Weise nicht gesagt, aber immerhin zugegeben, daß die wirtschaftliche Lage keinen Einfluß auf den Rückgang der veröffentlichten Zahlen gehabt habe. Die Konjunktur bezeichnete er als »weiter sehr verhalten«.

Das wird sie wohl auch bleiben. Sogar die sechs führenden Wirtschaftsinstitute hatten in dieser Woche ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum 2005 von 1,5 Prozent auf 0,7 Prozent halbiert. Tritt das so ein, kostete die Entwicklung aufgrund des Produktivitätsfortschritts nach Berechnungen des Münchener Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) 200000 bis 300000 Arbeitsplätze. Das hielt Super-Clement nicht davon ab, die Korrektur der Konjunkturprognose so zu interpretieren, daß die »Erholung allmählich an Breite« gewänne. Wenn es gilt, aus dem Kaffeesatz zu lesen, will sich der Minister von niemandem übertreffen lassen. Am Donnerstag prognostizierte er ein drastisches Sinken des Ölpreises bis zum Sommer. Clement ist egal, was passiert. Entweder ignoriert er es, oder er macht daraus eine gute Nachricht.

Exemplarisch dafür ist auch die Zahl der Erwerbstätigen. Laut Statistischem Bundesamt gab es im März gegenüber dem Vorjahr 164000 Erwerbstätige mehr. Eine Erfolgsmeldung. In Wirklichkeit geht dieser Anstieg auf die wachsende geringfügige Beschäftigung durch Mini-Jobs, Ich-AGs und Ein-Euro-Jobs zurück. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nahm dagegen weiter deutlich ab. Im vergangenen Jahr sank sie nach isw-Angaben um 337000 auf nur noch 26,18 Millionen, was die Sozialkassen ruiniert.

Dieser Trend nach unten ist ungebrochen. Originalton Clement dazu: Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sei jetzt die »positive Phase« erreicht. Allerdings hätten die Bundesbürger zur Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung ein »gestörtes Verhältnis«.

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Kommentar: unter 5 millionen

Vergesst die Arbeitslosenzahl!

5 Millionen Arbeitslose - diese Nachricht schien die Bundesregierung im Januar zu schwächen. Doch schon damals war klar, dass die Schwäche zur Stärke würde, weil sich das politische Erfolgskriterium verschoben hat. "Trendwenden" sind nun leichter zu haben. Plötzlich sind schon 4.968.000 Arbeitslose ein Triumph für die Regierung - wurde doch die magische Grenze der 5 Millionen unterschritten.

Von Ulrike Herrmann

Quelle: taz vom 29. April 2005

Wichtig ist jetzt nur noch, dass die Arbeitslosigkeit bloß nicht erneut steigt. Schon gar nicht vor der Bundestagswahl 2006. Wie gewohnt gab sich Wirtschaftsminister Clement optimistisch; "nie wieder" sei mit 5 Millionen Erwerbslosen zu rechnen.

Erfreulich für den Minister: Genau diese Prognose haben auch die Wirtschaftsforschungsinstitute vor drei Tagen abgeliefert. Der bescheidene Optimismus wirkt allerdings überraschend, denn für 2004 wird nur ein Wachstum von 0,7 und für 2005 von 1,5 Prozent erwartet. Das ist zwar ein kleines Plus und noch keine Stagnation - aber jahrzehntelange Erfahrung hat gelehrt, dass die deutsche Wirtschaft um mindestens 1,5 Prozent zulegen muss, damit die Arbeitslosigkeit nicht steigt. Spinnen die Experten und der Wirtschaftsminister?

Nein, sie haben Recht mit ihrem Optimismus. Man muss nur die offizielle Statistik betrachten und alle anderen Zahlen meiden. Keinesfalls darf der Blick etwa auf den Trend bei den sozialversicherungspflichtigen Jobs fallen. Denn der erschüttert, statt zu erbauen: Seit 2004 gingen mehr als eine halbe Million "normale" Stellen verloren.

Kräftige Expansion gab's dafür bei den Minijobs, Ich-AGs, 1-Euro-Jobs und diversen Teilzeittätigkeiten. Sie alle sorgen offiziell für Beschäftigung. Dieser subventionierte Sektor wird weiter boomen und die Statistik schönen.

Es stellt sich zunehmend die Frage, wie sinnvoll es noch ist, monatlich das Ritual der Arbeitslosenzahlen zu zelebrieren. Denn der Erkenntniswert ist gering. Oder wie es Wirtschaftsforscher formulieren: Die Arbeitslosigkeit ist eine "Restgröße", die sich politisch manipulieren lässt.

Die relevanten Zahlen sind andere. Man stelle sich vor, der Wirtschaftsminister würde monatlich vor die Medien treten, um prominent zu verkünden, wie sich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entwickelt hat. Das wäre zwar unerfreulich für ihn, aber deutlich spannender.

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DIE APRIL-ZAHLEN

Quelle: taz vom 29. April 2005

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist zum ersten Mal in diesem Jahr unter die Fünf-Millionen-Grenze gefallen. Im April waren 4,97 Millionen Menschen ohne Job, teilte die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (BA) mit. Dies waren 208.000 weniger als noch im März, aber 524.000 mehr als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote sank von 12,5 Prozent auf zwölf Prozent.

Die Zahl ging im Westen um 134.000 auf 3,262 Millionen zurück; im Osten um 74.000 auf 1,705 Millionen. Noch immer nicht erfasst sind laut BA etwa 90.000 ehemalige Sozialhilfebezieher, die von den 69 so genannten Optionskommunen betreut werden. Hätten diese Kommunen verarbeitungsfähige Daten geliefert, läge die Arbeitslosenzahl damit auch im April erneut über fünf Millionen. AFP

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Zwischenbericht zum Ende

Letzter Vorhang: Die Landesgesellschaften

Von Elmar Kok

Quelle: taz vom 20. April 2005

Heute findet der parlamentarische Untersuchungsausschuss zu den Landesgesellschaften in Landtag seinen Abschluss. Mit dem in der vergangenen Woche vorgelegten Zwischenbericht und dem heutigen Plenum im Landtag wird damit der Ausschuss ohne Abschlussbericht zu Grabe getragen. Die Landtagswahl am 22. Mai läutet das Ende der Legislaturperiode und damit auch das Ende aller Ausschüsse ein.

Der Untersuchungsausschuss zu den Landesgesellschaften befasste sich vor allem mit den Auftragsvergaben der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (GfW) und der Projekt Ruhr. Zudem beleuchtete der Ausschuss in diesem Zusammenhang den Umzug der Staatskanzlei ins Stadttor. Bevor der Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, hatte der Landesrechnungshof die Praxis der Auftragsvergabe bei den beiden genannten Landesgesellschaften gerügt. Sie sollen Aufträge ohne Ausschreibungen vergeben haben, ein Freund des damaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (SPD), Christian Langer, soll davon profitiert haben. Die Regierungskoalition aus Grünen und SPD sieht die Vorwürfe mittlerweile als ausgeräumt an, ein fader Beigeschmack haftet aber vor allem dem Umzug von Clements Staatskanzlei ins damals neue Düsseldorfer Stadttor an. Denn die Räumlichkeiten der alten Staatskanzlei wurden zu dem Zeitpunkt, als Clement den Umzug ankündigte, gerade für ein paar Millionen renoviert.

Der letzte Zeuge, den der Untersuchungsausschuss vernahm, sagte über den Umzug: "Wir hielten die Idee für eine Schnapsidee", so Ernst Gerlach, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium. Auch sein damaliger Finanzminister Heinz Schleußer (SPD), habe so gedacht, sagte Gerlach vor fast genau einem Jahr.

Die Opposition wirft dem Clement-Freund Langer vor, den Kontakt zum Vermieter des Stadttors hergestellt zu haben, und über den Umweg der Landesgesellschaften mit Projekten für seine Agentur Noventa dafür entlohnt worden zu sein.

Die Opposition hält die Arbeit des Ausschusses für einen Erfolg, obwohl sie Clement die angebliche Vetternwirtschaft nicht nachweisen konnte. Immerhin gebe es nun Handlungsanweisungen zur Kontrolle der Landesgesellschaften, ist aus den Reihen der CDU zu hören.

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Titel

Schuß vor den Bug

100 Tage »Hartz IV« - 100 Tage fortschreitende Enteignung von Arbeitslosen - 100 Tage verordnete Armut - 100 Tage Vernichtung regulärer Arbeitsplätze durch Ein-Euro-Jobs

Von Ulrich Schwemin

Quelle: junge Welt vom 12. April 2005

Nach hundert Tagen wird in der Politik gern Zwischenbilanz gezogen, so auch bei »Hartz IV«. Dauerhaft über fünf Millionen offiziell gezählte Arbeitslose ist sicher der herausragendste Posten, der zu nennen ist. Politiker und Medien übertreffen sich gegenseitig mit dem Argument, der Anstieg der Arbeitslosenzahlen sei allein dem statistischen Phänomen geschuldet, daß ehemalige Sozialhilfebezieher nun als Arbeitslose mitgezählt werden. Sie »vergessen« dabei, daß Ein-Euro-Jobber, Arbeitslose in Agenturmaßnahmen, Hunderttausende ältere mit der »58er-Regelung« aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedene sowie Millionen nicht gemeldete Arbeitsuchende ebenfalls erwerbslos sind. In Wirklichkeit fehlen deshalb nicht fünf, sondern sieben bis acht Millionen Arbeitsplätze.

Der Anstieg der Erwerbslosigkeit ist auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement nicht entgangen. Der rief jetzt die sogenannten Job-Center zu einer Vermittlungsoffensive auf. Der Start von »Hartz IV« sei gelungen, bilanzierte er, aber nun müsse die Devise »Vorfahrt für Vermittlung« lauten. Ein deutlicheres Eingeständnis der Tatsache, daß es bisher keine Vermittlung gegeben hat, ist von Clement nicht zu erwarten. Natürlich wird es auch in Zukunft keine geben. Denn es gibt die Arbeitsplätze nicht. Zwar macht die Bundesregierung den Großunternehmen ständig neue Steuergeschenke in Milliardenhöhe, damit diese in Arbeitsplätze investieren. Aber die investieren nur einen Teil davon; und zwar in den massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen.

Durch diese Steuergeschenke wird der Staat notwendigerweise arm und handlungsunfähig. Da er seinen sozialen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, entzieht er sich ihnen per eigens dazu erlassenem Gesetz. Nach und nach privatisiert er die Gesundheitsvorsorge, die Rente und das Risiko der Arbeitslosigkeit. Das ist der Inhalt der Agenda 2010. Ihr Kernstück, »Hartz IV« bedeutet staatlich verordnete Armut, indem Arbeitslose gezwungen werden, zunächst ihre gesamten Ersparnisse inklusive ihrer privaten Altersabsicherung zu verbrauchen, bevor sie, wenn überhaupt, staatliche Almosen erwarten können. So und nur so erklärt sich Clements Aussage, der »Hartz-IV«-Start sei gelungen: Die Enteignung funktionierte vom ersten Tag an perfekt.

Die Vermittlung in Zwangsarbeit kann dagegen schon nur noch eingeschränkt als Erfolgsstory verkauft werden. Von geplanten 600000 sind erst 114000 »Arbeitsgelegenheiten« geschaffen, der Ärger darüber ist aber kaum noch unter der Decke zu halten. So hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks einen sofortigen Stopp dieser Ein-Euro-Jobs verlangt, weil sie massenhaft reguläre Arbeitsplätze vernichten. Ein-Euro-Jobs müssen laut Gesetz »gemeinnützig« und »zusätzlich« sein. Das Schöne daran ist: Das kann keiner kontrollieren, denn »zusätzlich« ist dehnbar wie Kaugummi.

Vorläufig nicht zugeben werden Schröder und Co., daß auch der mit den Ein-Euro-Jobs verbundene Vernichtungseffekt für reguläre Arbeitsplätze gewollt ist. Bewiesen haben sie das längst mit den »Minijobs«. Über sieben Millionen gibt es schon davon. Wie viele Arbeitsplätze so vernichtet, wie viele Steuern und Sozialbeiträge nicht gezahlt wurden, darüber schweigen die Statistiker des Bundes. Aus gutem Grund: Der nächste Schuß vor den Bug ist schon in der Feinplanung.

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100 Tage Hartz IV

"Leider keine Erfolgsgeschichte"

Am 1. Januar ist Hartz IV in Kraft getreten - und die erste Zwischenbilanz fällt mager aus. Zwar bemühten sich die Arbeitslosen verstärkt um Jobs, doch Auswirkungen auf die Statistik sind nicht erkennen.

Quelle: Stern vom 10. April 2005

© Waltraud Grubitzsch/DPA
Auch eine Hartz-Folge: Kneipe in der Nähe des Leipziger Arbeitsamtes

Genau vor 100 Tagen ist die größte Arbeitsmarktreform der deutschen Nachkriegsgeschichte in Kraft getreten. Unter dem Namen "Hartz IV" wurden am 1. Januar die bisherige Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt. Nach dem Motto "Fördern und Fordern" soll die Reform Langzeitarbeitslose ins Arbeitsleben zurückführen. Doch wegen der erstmaligen Erfassung früherer Sozialhilfeempfänger schossen die Arbeitslosenzahlen zu Jahresbeginn kräftig in die Höhe und überschritten erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg die Fünf-Millionen-Grenze. Doch auch nach 100 Tagen Hartz IV bleibt die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt angespannt. Regierungspolitiker mahnen zur Geduld, während für die Opposition Hartz IV ein weiteres Beispiel gescheiterter rot-grüner Reformpolitik ist.

Bundesagentur für Arbeit ist überfordert

"Hartz IV ist leider keine Erfolgsgeschichte, und gemessen an den Vorgaben des Herrn Hartz ist es ein eindeutiger Flop", sagt der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dirk Niebel. Die Bundesagentur für Arbeit sei überfordert. Mit der Schaffung der schlecht funktionierenden Arbeitsgemeinschaften aus Arbeitsagenturen und Kommunen sei der Verwaltungsaufwand vor Ort unnötig erhöht worden, sagt Niebel. Ähnlich sieht es sein CDU-Kollege Karl-Josef Laumann. "Die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe halte ich nach wie vor für richtig, aber die Idee der Betreuung der Landgezeitarbeitslosen durch die Bundesagentur ist ein Flop. Das sollte bei den Kommunen bleiben", sagt Laumann.

Dagegen ist nach Ansicht des wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, Hartz IV auf einem guten Weg. Das neue Arbeitslosengeld II sei pünktlich gezahlt worden. Die Arbeitslosen zeigten auch mehr Aktivität, sich um Arbeit zu bemühen. "Und die Zahl der von den Arbeitgebern gemeldeten offenen Stellen ist seit Jahresbeginn um rund 50.000 auf 398.000 Ende März gestiegen", sagt Brandner. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Thea Dückert, hebt hervor, dass mit Hartz IV auch die ehemaligen Sozialhilfeempfänger Zugang zu den Instrumenten aktiver Arbeitsmarktpolitik hätten.

Reformen brauchen Zeit, um voll zu greifen

Beim Bundeswirtschaftsministerium in Berlin verweist man darauf, dass die Reformen Zeit bräuchten, um voll zu greifen. Immerhin habe Hartz IV die Grundlagen für eine "völlig neue Vermittlungskultur" gelegt, sagt Ministeriumssprecherin Andrea Weinert. So stehe für je 75 arbeitslose Jugendliche beziehungsweise 150 Erwachsene ein "Fallmanager" als persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung.

Schon ab Mitte April soll am Hartz-IV-Konzept weiter gefeilt werden. Dann trifft sich Laumann mit Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), um über verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose zu beraten. Hier geht es darum, wie viel ein Betroffener von einem Mini-Job-Verdienst behalten darf, wenn er gleichzeitig Arbeitslosengeld II bezieht.

Heiß diskutiert wird im Zuge von Hartz IV über die so genannten Ein-Euro-Jobs. Langzeitarbeitslose, die keine reguläre Arbeit finden, erledigen gemeinnützige Arbeiten und erhalten dafür ein bis zwei Euro Aufwandsentschädigung pro Stunde. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fordert einen Stopp der Ein-Euro-Jobs, weil sie Arbeitsplätze im Handwerk gefährdeten. Nach Ansicht Brandners lässt sich der befürchtete "Drehtüreffekt" vermeiden, wenn man das örtliche Handwerk mitreden lasse, wo die Ein-Euro-Jobber eingesetzt werden. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums gab es Mitte März schon 114.000 Ein-Euro-Jobs. Minister Clement sieht ein Potenzial von bis zu 600.000. Für seinen Gesprächspartner Laumann ist das viel zu viel: "Dann hätten wir den Drehtüreffekt."

Auf Seite 2: Job-Floater, PSA und Ich AGs - die meisten Maßnahmen floppten

Einer der wenigen Reform-Erfolge: Minijobs für Schüler und Studenten

Im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit hat Rot-Grün nach den Vorschlägen von Peter Hartz bereits eine ganze Reihe arbeitsmarktpolitischer Instrumente ausprobiert. Reguläre Jobs konnten damit allerdings kaum geschaffen werden.

Die Personal-Service-Agenturen (PSA) sollten schwer vermittelbare Arbeitslose bei sich einstellen und diese dann zeitlich befristet an Unternehmen verleihen. Für jeden Arbeitslosen, den sie beschäftigen, bekommen die PSA Geld vom Arbeitsamt. Ursprünglich sollten mit den PSA jährlich 350.000 sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen werden, Ende März 2005 waren laut Bundesagentur für Arbeit jedoch nur knapp 28.000 Menschen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse vermittelt worden.

Auch der Job-Floater floppte. Die Ende 2002 eingeführte Maßnahme wurde bereits nach einem Jahr wieder eingestellt. Klein- und Mittelbetriebe, die einen Arbeitslosen einstellten, konnten dafür einen zinsgünstigen Kredit von bis zu 100.000 Euro beantragen. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement wollte allein 2003 dadurch 50.000 neue Stellen schaffen, entstanden waren allerdings nur 11.000. Experten befürchten aber auch hier Mitnahmeeffekte, da einige der betroffenen Firmen auch ohne die Förderung investiert hätten.

Mini-Jobs: Hartz II brachte eine Neuregelung der Minijobs und löste einen regelrechten Boom bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen aus. Von Dezember 2003 bis Dezember 2004 hat sich die Zahl geringfügig entlohnter Beschäftigter nach Angaben der Bundesknappschaft um fast 700.000 oder 11,3 Prozent erhöht, zum Ende des Jahres 2004 lag die Zahl der Mini-Jobs in Deutschland bei knapp sieben Millionen.

Eine genauere Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung lieferte im Februar allerdings eine ernüchternde Bilanz: Die Mini-Jobs hätten zu "keiner nennenswerten Reduzierung der Arbeitslosigkeit" geführt, heißt es in der Studie. Demnach sind vor allem Schüler, Studenten und Hausfrauen geringfügig beschäftigt. Gleichzeitig entgehen aber nach Berechnungen der Berliner Forscher den Sozialversicherungsträgern und dem Fiskus Einnahmen in Höhe von rund einer Milliarde Euro pro Jahr.

Das am stärksten genutzte Instrument der Hartz-Reformen ist die Ich AG. Der Existenzgründungszuschuss wurde ebenfalls als Bestandteil von Hartz II im Januar 2003 eingeführt. Die neuen Selbstständigen erhalten im ersten Jahr 600 Euro, im zweiten 360 Euro. Spätestens nach dem dritten Jahr, in dem die Förderung auf 240 Euro sinkt, sollte sich das Unternehmen ohne Zuschuss selbst tragen. Peter Hartz hielt ursprünglich eine halbe Million Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit für möglich, die Zahl der Ich-AGs lag Ende März bei 246.800, dazu kommen 97.500 Gründer, die das auf sechs Monate befristete Überbrückungsgeld in Anspruch nahmen.

DPA/AP

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