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Der deutsche Staat im Ausnahmezustand: Beispiel Brokdorf-Demo 1981

Brokdorf 1981: Bürgerrechte mit brutaler Polizeigewalt außer Kraft gesetzt: Als der Staat gewaltsam die Anti-AKW-Bewegung zerschlagen wollte

Die AKW Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen gehen Ende 2021 vom Netz – Erinnerungen an einen jahrzehntelangen und am Ende erfolgreichen Protest. Allerdings mehren sich die Stimmen, die den Atomausstieg wieder rückgängig machen wollen, nicht zuletzt in der EU, angeführt von Frankreich!

Die Großdemonstration bei Brokdorf fand am 28. Februar 1981 in der Wilstermarsch nahe Brokdorf in Schleswig-Holstein statt. Die von Bürgerinitiativen aus der Anti-AKW-Bewegung organisierte Versammlung richtete sich gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf. Die Demo erfolgte trotz eisiger Kälte und trotz eines gerichtlich bestätigten Versammlungsverbotes unter Teilnahme von etwa 50.000 bis 100.000 Demonstranten und galt bis dahin als größte Demonstration gegen die Nutzung von Kernenergie in der Bundesrepublik. Die große Mehrheit der Demonstranten verhielt sich friedlich, während es am Bauzaun zu Ausschreitungen kam.

1985 erklärte das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss das Versammlungsverbot von 1981 nachträglich für unzulässig.

Mehr zur Demo in: Tagesschau vom 28.02.1981 Demonstration in Brokdorf – YouTube

L. Reinhard, Mülheim/Ruhr
Hier mein Erfahrungsbericht von damals

Ich war damals aktives Mitglied in der Mülheimer Anti-AKW-Bürgerinitiative. In der Atomstadt Mülheim, wo die damalige Kraftwerksunion (KWU) im großen Stil Bauteile für AKWs fertigte, war es besonders schwierig, über die Gefahren von AKWs zu informieren. Unsere Treffen wurde vom Verfassungsschutz beobachtet und bei Aktionen auf der Schlossstraße wurden wir häufig sehr rüpelhaft attackiert. Wochen vor der großen Brokdorf-Demo am 28. Februar 1981 mobilisierten wir über Plakate, Flugblätter und Vorträge für die Teilnahme. Die vorherrschende öffentliche Diskussion in fast allen Medien – social media gab es noch nicht – warnte inständig vor Extremisten und Gewalttätern aus der Anti-AKW-Bewegung. Notgedrungen mussten auch wir die Diskussion z.B. darüber führen, ob man Helme als Selbstschutz zur Demo mitnehmen solle, denn die waren verboten als angebliche Zeichen von Militanz und Gewaltbereitschaft.

Wir hatten ca. 200 Menschen aus Mülheim, die trotz all der Hetze an dem weiten Weg nach Schleswig-Holstein teilnehmen wollten. Ich selbst klapperte alle Mülheimer Busunternehmen ab, fand aber keinen einzigen, der sich traute, Busse zur Verfügung zu stellen. Nach intensiver Suche auch in den diversen Nachbarstädten, konnte ich schließlich welche aus Oberhausen buchen, wofür ich aber persönlich haften musste.

Trotz Polizeipräsenz und Kontrollen konnten wir schließlich frühmorgens losfahren, wenn auch getrennt. Zweimal geriet der Bus, in dem ich mitfuhr, unterwegs in eine Polizeikontrolle, die uns auf einen Rastplatz lenkte. Dort wurde alles u.a. nach Helmen durchsucht und Personalien festgestellt, bevor wir weiterfahren konnten.

In der Nähe von Itzehoe wurde unser Bus abgestellt und wir begannen einen km-langen Marsch durch die Eiseskälte in Richtung Brokdorf. Hinter einer kleinen Brücke wurden wir von der martialisch aufgerüsteten Polizei einzeln gefilzt. Ich musste meinen Schal und ein paar hart gekochte Eier als sog. „passive Waffen“ abliefern, könnte ich mir ja demnächst auf der Wache in Itzehoe wieder abholen. Danach marschierten wir unbeirrt weiter, ich persönlich fror noch mehr als zuvor. Bis zum Bauzaun, wo heftige Auseinandersetzungen tobten, gelangten wir nicht, doch konnten auch wir die vielen Hubschrauber in der Luft und die Fontänen der diversen Wasserwerfer etwas weiter vorn beobachten, wobei das Wasser wohl noch mit CS-Gas angereichert war, ganz so als wären die Wasserstrahlen bei Minus 10 Grad nicht schlimm genug.

Völlig erschöpft und durchfroren erreichten wir gegen Abend unseren Bus, zum Glück war keine/r verloren gegangen.

Für mich persönlich hatte die Demo leider noch ein Nachspiel: Im ZDF-Bericht war ich deutlich zu erkennen, als wir über einen Container als Blockade vor  einer kleinen Brücke stiegen. Mein Vater rief mich tags darauf ganz besorgt an und meinte, ich solle doch lieber die Hand in der Tasche ballen als mich an derartigen gefährlichen Aktionen zu beteiligen. Auch in der Schule – ich war damals Lehrer – sprachen mich etliche Lehrer und Schüler an mit gegensätzlichen Kommentaren. Es dauerte auch nicht lange, bis die Schulaufsicht in Düsseldorf sich meldete und mich zu einem Anhörungsgespräch vorlud. Zum Glück begleitete mich ein Personalrat als Unterstützung. Nach der Belehrung, dass ein Beamter wie ich nicht an verbotenen Demos teilnehmen dürfe, berief der „Inquisitor“ sich zusätzlich auf einen Brief von „besorgten“ Eltern, die mich bei der Behörde angezeigt hätten, weil ich mit meinem Verhalten ihre Kinder sehr schädlich beeinflussen würde. Wir ließen uns aber nicht einschüchtern. Konkret aber folgte nichts. Als ich einige Zeit später über Anwalt die Eintragung in meine Personalakte heraus klagen ließ, konnte ich auch erfahren, wer mich als „Kinderverderber“ angeschissen hatte. Das war eine Mülheimer SPD-Bezirksvertreterin.