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Ex-Atomhauptstadt Mülheim immer noch voll dabei?

Im Windschatten des Fußballrauschs: „Mülheimer half in Brasilien“- Beim AKW-Bau anno 2014! Unglaublich!!!

Im Lokalteil der WAZ Mülheim unter „Aus den Stadtteilen“ stand am 12. Juli 2014, einem Tag vor dem WM-Finale in Brasilien der Artikel „Physiker im Brasilien-Einsatz – Kahlenberger im Ruhestand zog es neun Monate nach Rio. Dort arbeitete er bei der Erweiterung eines Atomkraftwerks mit“. Im Netz unter derWesten.de und Mülheim fand man den Artikel dann unter „Soziales“ mit der weniger verdächtigen Überschrift „Mülheimer half in Brasilien“, der Artikel nachzulesen hier.

Im Windschatten des fast orgiastischen Fußballrausches, der Deutschland vor und beim Gewinn der WM erfasste, kann man dann solche Berichte über eine eigentlich höchst brisante Geschichte auch noch eben mal unterbringen. Klingt ja auch harmlos: „Mülheimer half in Brasilien“, denn die abgestürzte Fußball-Großmacht kann schließlich jede Hilfe gebrauchen, oder? Doch das wäre ein anderes Kapitel als das brasilianische Atomprogramm, wenn auch wahrscheinlich ähnlich von Korruption und Misswirtschaft durchsetzt. Deshalb im folgenden einige Anmerkungen zu den Hintergründen:

Es ist ja durchaus zu begrüßen, wenn Rentner ihr Wissen und ihre Erfahrung in Entwicklungs- oder Schwellenländern einbringen und es ist auch schade für den Mülheimer Atomphysiker, wenn er, warum auch immer, nicht zur WM und schon überhaupt nicht zum WM-Finale im Maracana von Rio sein konnte, wo er doch bis kurz vorher in Rio an der Copacabama in einer Super-Luxuswohnung (1600 € Miete für 40 qm!) gelebt hat.

Der Fall aber zeigt unabhängig von dem Mülheimer „Helfer“ die bedenkliche und verlogene Politik der alten und neuen Bundesregierung in Berlin! Obwohl nach Fukushima in Deutschland von allen Parteien im Bundestag der Atomausstieg beschlossen worden war, unterstützt/e Deutschland weiterhin das höchst umstrittene und gefährliche Atomausbauprogramm Brasiliens in Angra dos Reis. Die Bundesregierung gewährte nicht nur eine Milliardenbürgschaft (Hermes), sondern war und ist anscheinend auch sehr aktiv mit Personal beteiligt, Angra 3 auf Treibsand bzw. im erdrutschgefährdeten Gebiet gegen Sinn und Verstand weiter zu verfolgen!
Mit den Worten des Mülheimer Helfers klingt das so: Für das Schwellenland Brasilien seien Bau und Betreiben eines Kernkraftwerks ein Prestigeprojekt, weiß Löhr. „Sie wollen zeigen, dass sie das können.“ Ein erfahrener Gutachter aus Deutschland gilt auch heute als Qualitätsmerkmal. Brasilien setze zwar stark auf Wasserkraft, aber die Kernkraft sei dort akzeptiert.“ Irgendwie alles recht harmlos und das „Normalste“ der Welt, oder? Da bauen die Brasilianer also ein AKW, nur um zu zeigen, dass sie das können. Macht auch nix, denn Kernkraft ist dort akzeptiert. So einfach ist das. Im Bild links Angra 2, von Siemens/KWU, die Bilder darunter zeigen die wunderschönen Strände und Küsten bei Angra dos Reis, im mittleren Bild allerdings nach einem der häufigen Erdrutsche.

Die Projekte der AKW-Blöcke Angra 1,2+3 stammen alle 3 aus 1975 aus der Zeit der schlimmen damaligen Militärregierung. Angra 2 wurde unter deutscher Federführung (und damals etlichen Mülheimer KWU-„Hilfs“kräften) für die brasilianischen Militärs geplant und gebaut, wobei diese bekanntermaßen weniger an Stromerzeugung als an der Produktion von waffenfähigem Uran gelegen war. Auch deshalb ging es mit den AKWs am wunderschönen Strand von Angra sehr lange überhaupt nicht voran. Eine einzige Skandal-Geschichte, ein finanzielles Desaster und eine ökologische Zeitbombe höchster Güte!
In Brasilien gab es seit den 70er Jahren Proteste gegen dieses Skandal-Projekt. Wurden die Atomkritiker bis zum Ende der Militärdiktatur in den 80er Jahren noch massiv verfolgt und drangsaliert, so ist das heute zum Glück nicht mehr so der Fall. Nur will auch die demokratische Regierung dieses „Prestigeprojekt“ (s.o.) unbedingt durchpowern, warum auch immer. Jedenfalls stimmt es nicht, was der Mülheimer „Helfer“ so einfach daherredet, nämlich: „ aber die Kernkraft sei dort (in Brasilien) akzeptiert“. Die großen Massen haben drastische Alltagsprobleme, so dass das skandalöse „Prestigeprojekt“ in Angra dos Reis ziemlich an ihnen vorbeigehen mag, doch von den aktiven und gebildeten Bevölkerungsschichten des aufstrebenden Schwellenlandes ist eine große Mehrheit sicher schon lange nicht mehr für die krampfhafte Weiterführung von Angra. Im Übrigen hat das rohstoffreiche Riesenland u.a. Sonne im Überfluss und wenn Deutschland dort einen Zukunftsmarkt behalten möchte, müsste es die brasilianische Regierung von einer Energiewende überzeugen, die aber dann nicht mehr auf die zentralisierten Stromerzeuger wie Riesenstauseen oder AKWs setzt! Damit könnten auch die enormen sozialen Defizite Brasilien zumindest in Ansätzen bekämpft und beseitigt werden. Doch ein solches, großes Entwicklungsprogramm scheint weder im Fokus der brasilianischen Elite, noch der deutschen Bundesregierung zu liegen.

In Wikipedia steht unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Angra u.a.:
Der Standort zwischen den Metropolen Rio de Janeiro und Sao Paolo liegt in einer erdrutschgefährdeten Bucht an der Atlantikküste. Abklingbecken für alte Brennstäbe sind nur 50 Meter vom Meer entfernt. (Anm. L.R.: bei vorausgesagtem Anstieg des Meeresspiegels unfassbar)
Angra I
:
Der Reaktor für Angra I ist ein Westinghouse-Reaktor, den Brasilien in den USA kaufte. Der „Pleite-Meiler aus den Siebzigern“[3] war 1994 nur für ganze 14 Tage in Betrieb.
Angra II
Angra II wurde mit deutscher Technologie gebaut (Siemens/KWU) und ging 2000 nach einer 25-jährigen Planungs- und Bauzeit ans Netz. Bereits 2001 gelangten mind. 150 Liter radioaktives Wasser in den Atlantischen Ozean.
Angra III
Die Arbeiten an diesem dritten Block wurden 1984 begonnen und zwei Jahre später (Anm. L.R..: nach dem Ende der Militärdiktatur!) aufgrund ökologischer Bedenken und finanzieller Probleme abgebrochen. Die Technik für Angra III wurde 1985 für 750 Millionen DM gekauft und seitdem eingelagert. Dafür fallen jährlich 20 Millionen Dollar Kosten an.[4] Das einer beabsichtigten deutschen Hermes-Exportbürgschaft für Areva/Siemens in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zu Grunde gelegte Gutachten aus dem Jahr 2010 wird von Umweltverbänden als „Gefälligkeitsgutachten“ kritisiert…..

Noch Fragen?

L. Reinhard, Mülheim/Ruhr,
der sich bereits ab den 70er Jahren als Aktivist der Anti-AKW-Bewegung und häufiger Brasilien-Besucher mit dem gefährlichen Harakiri-Projekt in Angra dos Reis an der wunderschönen Küste Brasiliens befasste.

Mülheimer half in Brasilien. WAZ 12.7.14, der ganze Artikel hier

Dr. Rüdiger Löhr vor einem Fußballstadion. Zur WM konnte er nicht bleiben Foto: Privat
Mülheim-Holthausen. Dr. Rüdiger Löhr frühstückte gerade mit seiner Frau, als das Telefon klingelte. Ein ehemaliger Kollege rief an. „Hast Du Lust, für neun Monate nach Brasilien zu gehen?“ Der promovierte Physiker im Ruhestand überlegte nicht lange. „Als Rentner fehlt einem doch etwas, auch wenn man sich darauf vorbereitet hat, viel freie Zeit zu füllen“, erzählt der Kahlenberger.
Dr. Rüdiger Löhr frühstückte gerade mit seiner Frau, als das Telefon klingelte. Ein ehemaliger Kollege rief an. „Hast Du Lust, für neun Monate nach Brasilien zu gehen?“ Der promovierte Physiker im Ruhestand überlegte nicht lange. „Als Rentner fehlt einem doch etwas, auch wenn man sich darauf vorbereitet hat, viel freie Zeit zu füllen“, erzählt der Kahlenberger. Fast sein gesamtes Berufsleben hat der 71-Jährige beim TÜV Nord in Essen als Gutachter für Kerntechnik verbracht. 1998 war er bereits drei Monate in Angra, 250 km südlich von Rio , um beim Bau von Block 2 des Kernkraftwerks Angra als Berater zu arbeiten.
Rüdiger Löhrs Sohn redete ihm zu, seine Frau hatte nichts dagegen deshalb hieß es dann: auf nach Südamerika. „Ich habe mich vorher noch mal drei Monate lang am Tüv-Standort in Hannover fit gemacht, ich war ja schon fünf Jahre aus dem Beruf raus und die Technik hatte sich weiter entwickelt.“ Gemeinsam mit einem Kollegen flog der Mülheimer Experte im September 2012 nach Rio. Einen Monat logierten sie im Hotel, dann fand Rüdiger Löhr eine Wohnung, 100 Meter von der Copacabana entfernt: 40 Quadratmeter für 1600 Euro Miete im Monat.
Technik hat sich weiter entwickelt
Der Arbeitsplatz des Physikers befand sich nicht in Angra, denn Block 3 des Kernkraftwerks war erst im Bau, sondern in einem der unzähligen Hochhäuser in Rios Stadtteil Centro. „Ich habe im Gebäude des brasilianischen TÜV für Eletro Nuclear gearbeitet. Meine Aufgabe war zu beurteilen, ob die Komponenten für den Bau der Anlage den Genehmigungen entsprechen und genau zu beschreiben, was ein System leisten muss. Nicht nur die brasilianischen, sondern auch die deutschen Regelwerke sollten erfüllt werden.“ Für das Schwellenland Brasilien seien Bau und Betreiben eines Kernkraftwerks ein Prestigeprojekt, weiß Löhr. „Sie wollen zeigen, dass sie das können.“ Ein erfahrener Gutachter aus Deutschland gilt auch heute als Qualitätsmerkmal. Brasilien setze zwar stark auf Wasserkraft, aber die Kernkraft sei dort akzeptiert.
Im Juni 2013 hatte Rüdiger Löhr seinen Auftrag erledigt. Von nun an betreuten Kollegen des TÜV Nord das Projekt in Angra quartalsweise. Er selbst sprang von Februar bis Juni 2014 noch einmal ein. „Aber nun habe ich damit abgeschlossen“, betont der Rentner. Die Zeit in dem riesigen Staat fand er fantastisch und sehr bereichernd, beruflich wie auch persönlich. „Die Menschen dort sind sehr kollegial und herzlich und ich habe viel vom Land gesehen.“
Gudrun Heyder
Im WAZ-Kasten dann
Lokales
Ein Leben im Zeichen der Kerntechnik
Dr. Rüdiger Löhr studierte in Darmstadt und Bonn Physik und zog 1978 nach Mülheim. Nach dem Studium war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Duisburg, danach bis zum Ruhestand Gutachter für Kerntechnik bei der Tüv Nord AG in Essen. Er hat beim Schnellen Brüter in Kalkar mitgewirkt, der nie in Betrieb ging, und beim Genehmigungsverfahren für den Schacht Konrad, als Endlager für mittelradioaktive Stoffe geplant. Die Kerntechnik sieht der Physiker trotz der ungelösten Frage der Endlagerung positiv.
Was dem Mülheimer in Rio besonders gut gefällt, ist der öffentliche Nahverkehr: „Der Verkehr ist dort dramatisch und von Bussen und Taxis beherrscht. Niemand drängelt beim Einsteigen in den Bus, weil nach zwei Minuten der nächste kommt.“ Zur Fußball-WM wäre Rüdiger Löhr gerne noch in Brasilien geblieben. „Ich gucke mir jedes Spiel an und hätte mich sehr gefreut, wenn Deutschland und Brasilien ins Endspiel gekommen wären.“