Hauptartikel in der WAZ vom 17. April 2013
„Nach Jahrzehnten wird abkassiert“
Die nichtöffentliche Verhandlung vom gleichen Tag zur Albertstr. beim Verwaltungsgericht Düsseldorf führte zu einem Vergleich: Die Hälfte der Erschließungsgebühren werden erlassen Weitere Prozesse stehen noch an, da die Stadt Mülheim noch an etlichen Straßen rückwirkend Erschließungsbeiträge eintreiben will, auch noch nach Jahrzehnten.
Damit sie dies tun kann, soll der Stadtrat die (nachträgliche) Straßenherstellung beschließen. Das behauptet die Stadt jedenfalls. In der neuesten Vorlage V 13/0187-01 sollen nun Straßenstücke von Velauer Str. (Sackgassenstummel), Horbachweg, Arthur-Brocke-Allee (Hochfelder bis Wald), Lönsweg (Wallfrieds- bis Uhlenhorstweg), Mats Kamp (ohne Fußweg) und Broicher Waldweg (alter Straßenverlauf als Sackgasse zwischen Saarner und Sternstr.) als sog. hergestellte Erschließungsanlagen nachträglich beschlossen werden, um dann abkassieren zu können. Im ersten Schritt wurde im Planungsausschuss am 16.4.13 die Einleitung des Verfahrens und die Öffentlichkeitsbeteiligung beschlossen.
Manch ein Anlieger wird dann aus allen Wolken fallen, wenn nach Verfahrensende viele tausende Euros an Erschließungskosten verlangt werden, obwohl seit Jahrzehnten nichts an der Straße getan wurde. Andere haben beim Hausbau oder –kauf bereits irgendwelche Erschließungsbeiträge zahlen müssen bzw. die Vor- oder Vorvor- oder noch davor-Besitzer. Was passiert mit denen?
Egal: Die MBI haben die Vorlage abgelehnt. Das Ganze ist nicht vermittelbar und teilweise absurd. Z.B. wenn die Straßenstücke Horbachweg und Arthur-Brocke-Allee bereits in den 50er Jahren bzw. letzteres gar vor dem 2. Weltkrieg hergestellt wurden. Beim Lönsweg wurde der größte Teil in den 60er Jahren abgeriegelt und zum Rad- Fußweg gemacht, das alte Teilstück des Broicher Waldweg wurde in den 70er Jahren ganz abgebunden.
Unabhängig von den Absurditäten der Einzelfälle ist in dem Zusammenhang folgende Meldung aus der NRZ vom 10. April bedenkenswert:
„Gericht: Zeitliche Grenze für Gebühren
Karlsruhe. Kommunen dürfen nach Investitionen in Straßen oder Leitungen die Anlieger nicht beliebig spät zur Kasse bitten. Dieser sogenannte Vorteilsausgleich ist vielmehr „nur zeitlich begrenzt zulässig“, so das Bundesverfassungsgericht. Es verwarf damit eine Regelung für kommunale Abgaben in Bayern. (Az: 1BvR 2457/08). Bundesweit erheben Kommunen Beiträge von Anwohnern, wenn sie beispielsweise Gehwege, Straßen oder Abwasserkanäle erneuern“
Die MBI zitierten dieses Urteil – siehe Presseerklärung des BvG als pdf-Datei (14 KB) – des allerhöchsten deutschen Gerichtes im Planungsausschuss und fragten, ob dieses nicht auch für Mülheim gelten müsse. Das Rechtsamt hatte bereits eine Stellungnahme vorbereitet, dass das alles nur ein bayrisches Spezialproblem sei (siehe Anlage). Danach stimmten dann SPD, CDU, FDP und Grüne für die o.g. Vorlage. Auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf argumentierte heute im Falle der Albertstr. ähnlich, denn es gesteht der Stadt grundsätzlich diese Möglichkeit der Abkassierung nach Jahrzehnten zu.
Wenn man aber das BvG-Urteil genauer durchliest, stellt man fest, dass der Hauptgrund für das Urteil zur zeitlichen Begrenzung der Verstoß „gegen Art. 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit“ ist und damit der
Verletzung von grundgesetzlich garantierten „Rechtssicherheit und Vertrauensschutz“
Genau das drückt aus, warum viele Bürger dieses nachträgliche Abkassieren auch nach Jahrzehnten als Abzocke und als nicht vermittelbar empfinden.
Übrigens hatten die Kläger in Bayern vor dem Verwaltungsgericht und sogar dem Verwaltungsgerichtshof (entspricht in NRW dem OVG) verloren. Mit diesem Urteil des BvG werden auch die NRW-Gerichte über kurz oder lang ihre oft bürgerfeindliche Rechtsprechung zu Gunsten der Kommunen in diesem Punkt revidieren müssen! Die parteiische Stellungnahme des Mülheimer Rechtsamts wird daran sicher garnichts ändern