Die gar seltsame Mathematik der Mülheimer angeblichen Haushaltssicherung
Im Februar 2017 wurde in allen Medien verkündet, dass Bund, Länder und Kommunen 2016 wegen den Rekordsteuereinnahmen allesamt kräftige Überschüsse erwirtschaftet hätten. Nun trifft das nicht auf alle Kommunen zu und sicherlich mit am allerwenigsten auf die einst reiche Stadt Mülheim/Ruhr. Deshalb im folgenden eine ausführlichere Analyse, warum in der Stadt von Stinnes, Thyssen, Albrecht, Tengelmann, Metro u.v.a. eine derart himmelschreiende Misswirtschaft vorherrscht.
Die eigentlich reiche Stadt Mülheim/Ruhr mit bisher für das Ruhrgebiet stets niedriger Arbeitslosigkeit und robuster, diversifizierter Wirtschaft, ist finanziell vor die Wand gefahren, sogar als einzige Großstadt weit und breit auch bilanziell heillos überschuldet. Die kleine Großstadt mit weniger als 170.000 Einwohnern, inmitten von größeren Großstädten wie Essen, Duisburg, Oberhausen, benötigt 2016 bereits „sagenhafte“ über 1 Milliarde Kassenkredite (sog. Kredite zur „Liquiditätsssicherung“), hat über 1,7 Milliarden Schulden, sitzt auf fast 10 Millionen nahezu wertloser RWE-Aktien, hat in Zukunft noch viele Fehlentwicklungen der Vergangenheit abzuzahlen wie die Zinswetten, die Währungswetten, die diversen PPP-Abenteuer (Medienhaus, Schulen, Feuerwehren, Rathaus u.v.v.m.), hat viel zu viele ausgegliederte und teilprivatisierte Gesellschaften der Daseinsvorsorge, die außerhalb des Kernhaushalts agieren, hat, ist, hat, ist, hat ……… Mülheim, die Heimatstadt von Ministerpräsidentin Kraft (SPD) und Gesundheitsministerin Steffens (Grüne) hatte laut Bertelsmann-Studie im letzten Jahrzehnt das höchste Verschuldungstempo aller deutschen Großstädte und bei der Pro-Kopf-Verschuldung ist Mülheim wie eine Rakete hochgeschossen und liegt inzwischen in NRW bereits an 2. Stelle nur noch hinter Oberhausen, bundesweit sogar bereits an 3. Stelle! Wie es dazu kommen konnte, hat unsere finanzpolitische Sprecherin mal versucht, in folgendem Artikel darzustellen.
Die Kreativität der NRW-Landesregierung und der Kämmereien vieler Kommunen zum Thema Haushaltssicherung geht offenbar gegen unendlich. Schon vor Jahren haben sich alle von elementaren Grundregeln verabschiedet. Zum Beispiel folgende ehemalige „Binsenweisheit“: „Ausgeglichen“ ist ein Haushalt dann, wenn keine Verluste gemacht werden, also die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen. So kannte man das, und ein nicht ausgeglichener Haushalt war seit jeher ein Ding, das nicht sein darf und er ist daher nicht genehmigungsfähig. Eigentlich, doch …..
Vorab: Prognosen für Gesamtergebnisse des Mülheimer Haushalts und die jährliche Abweichung, immer nach unten (Zahlen alle in Mio. €)
Haushalt | Prognosejahr | Prognose Ergebnis | Reales Ergebnis | Abweichung |
2006 | 2009 | -36 | -80 | -44 |
2007 | 2010 | -26 | -101 | -75 |
2008 | 2011 | + 7 | -131 | -138 |
2009 | 2012 | -16 | -82 | -66 |
2010 | 2013 | -52 | -79 | -27 |
2012* | 2014 | -45 | -113 | -68 |
2012 | 2015 | -40 | -78 | -38 |
2013 | 2016 | -36 | (-67) | (-31) |
2014 | 2017 | -52 |
*von Haushalt 2012, weil kein Haushalt 2011 existiert (2010/2011 war ein zumeist nachträglicher Doppelhaushalt)
Doch diese jährliche Verfehlung der „Sparziele“ als quasi-naturgesetzlich und trotz aufwendigen Haushaltssicherungs“konzepten“ und „strengster“ Kontrollen der Aufsichtsbehörden ist nicht das einzige Befremdliche oder völlig Unseriöse an der Haushalterei im Musterstädtchen Mülheim, das Deutschlands schnellstwachsenden Schuldenberg produzierte. Unabhängig von den Maßnahmen der Landesregierung, welche die Explosion von Verschuldung zumindest begünstigten, treibt einem das genauere Studium der Mülheimer Haushaltsansätze den Glauben an die Gültigkeit der Mathematik bei Etataufstellungen ziemlich aus. Doch lesen Sie selbst:
Als seinerzeit immer mehr Städte nach der obigen Definition in Schwierigkeiten kamen, hat die Landesregierung diese Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt, indem sie schlicht und einfach die Definition geändert hat. So wurde verfügt, dass auch ein gewisser Teil des sog. Eigenkapitals mit verbraucht werden darf, sozusagen wird das mit NKF seit 2007 per Eröffnungsbilanz auf dem Papier errechnete bilanzielle und damit größtenteils virtuelle (weil nicht mobilisierbare) „Eigenkapital“ mit vereinnahmt. Dazu muss dieses „Eigenkapital“ nur in „Ausgleichsrücklage“ umbenannt werden und schon ist die Haushaltslücke keine Lücke mehr, sondern der Haushalt ist ausgeglichen, jedenfalls im getrübten Auge der Kommunalaufsicht. Das wurde auch von den Kämmerern dankend angenommen, so ist doch gleich alles viel einfacher. Jedoch, wer hätte das gedacht:
Nach einigen wenigen Jahren fand auch dieses überaus weise erdachte Verfahren ein jähes Ende. Die Ausgleichsrücklage war aufgebraucht! Aber auch das hatte die Landesregierung in ihrer Weitsicht bedacht: auch ein bestimmter Prozentsatz der Allgemeinen Rücklage, so die Bezeichnung für den Rest des „Eigenkapitals“, durfte noch mit verbraucht werden, ohne dass der Regierungspräsident die Genehmigung des Haushalts verweigert hätte, wenn auch mit fürchterlich strengen Ermahnungen, „natürlich“ ohne reale Konsequenzen. Eine Musterkommune wie die Heimatstadt der Ministerpräsidentin war ganz besonders umtriebig bei der Umsetzung der neuen Rechenregeln des Landes NRW, indem sie auch die gesamten „Allgemeinen Rücklagen“ in kurzer Zeit „verbrauchte“, dennoch Jahr für Jahr einen genehmigten Haushalt vorweisen konnte. Das kleine bis`schen negatives „Eigenkapital“ von nur ein paar hundert Mio. Euros merkte keiner wirklich, da nur auf dem Papier.
Weil aber Jahr für Jahr real neue Haushaltslöcher entstanden, hatte die weise und vorausschauende NRW-Regierung zusätzlich einfach die Vorschriften geändert: Nun muss ein Kämmerer nicht mehr innerhalb von 4 Jahren einen Haushaltsausgleich auf dem Papier erreichen, seit 2011 erst in 10 Jahren, und schwupps kann die sog. Finanzaufsicht der RP-Mittelbehörde den Haushalt bedenkenlos genehmigen, im Falle der kleinen Großstadt Mülheim trotz jährlich neuem ca. 100 Mio.-Lochs und nicht mehr existentem „Eigenkapital“, weil negativ. In 10 Jahren ist schließlich die Welt auf dem Papier wieder in Ordnung. Wie aber erreicht man/frau das, ohne die Zahlen zu fälschen, wenn man an den jährlichen Ausgaben nichts verringert, höchstens das Gegenteil und bei den Einnahmen zwar in nicht-Wahljahren höhere Steuern einsetzt, die aber nur einen kleinen Bruchteil des jährlichen Defizits ausgleichen können? Dafür war Fantasie gefragt, doch daran mangelt es in Düsseldorf bekanntlich genauswenig wie in der Musterstadt Mülheim.
Inzwischen waren nämlich die Entwickler im Finanzminis-terium nicht untätig geblieben und hatten einen neuen, viel besseren Algorithmus zur Lösung auch diesen Problem`schens entdeckt: das HSK-Verfahren (highly simple Kameralistiks, manchmal auch „Haushaltssicherungskonzept“ genannt). Der funktioniert ganz einfach ungefähr so:
Bei einem gegebenen Defizit im Ausgangsjahr wird eingespart. Dann ist das Defizit im Jahr darauf geringer, logisch. Das ist aber noch nicht alles: der besondere Trick bei diesem Algorithmus besteht nämlich darin, dass die eingesparte Summe auch im nächsten und übernächsten und ……. also eben immer weiter vom jeweiligen Defizit abgezogen wird und wenn man Glück hat, so wie viele Städte wahrscheinlich vorher und ab 2021 auch Mülheim, kommt man dabei irgendwann auf Null und schwupps – der Haushalt ist wieder ausgeglichen!
Wie funktioniert das?
Zum Beispiel wurde als Mülheimer HSK-Maßnahme für das Jahr 2013 beschlossen, die Zahl der Arbeitsplatzdrucker in der Verwaltung zu reduzieren. Dafür steht im Haushaltssicherungskonzept für 2013: „ Einsparung 44 000 €“. Doch dann stehen in den folgenden drei Jahren diese 44 000 € jedes Jahr wieder als Einsparung im HSK. Nun können Kosten für Drucker, die vor 3 Jahren abgeschafft wurden, ja 2016 nicht mehr im Haushalt stehen! Was also wird hier noch eingespart? Im HSK 2017 tauchen unter dem gleichen Titel „nur“ noch 20 000 € Einsparung auf, weil inzwischen die Anzahl der Farbkopien gestiegen sei, also eigentlich 24 000 € zusätzliche Ausgaben durch Farbkopien entstanden sind. Woher sollen nun 20 000 € Einsparungen kommen? (Von nicht mehr existenten Schwarz-Weiß-Druckern?) Und diese 20 000 € werden jetzt auch noch Jahr für Jahr bis 2026 als die Einsparung „Einführung eines neuen Druckerkonzepts“ aufgelistet.
Genauso ist es z.B. bei der Einsparung der Portokosten für den Versand von Grundsteuerbescheiden. Im Jahr 2011 wurde beschlossen, nur noch bei einer Änderung der Grundsteuer Bescheide zu verschicken. Dafür wurde eine Einsparung von 27 000 € p.a. angesetzt. Diese 27 000 € standen aber in allen Folgejahren als Einsparmaßnahme im HSK, obwohl der Haushalt ja gar keine Mittel dafür mehr vorgesehen hatte, denn seit 2012 wurden keine Bescheide mehr verschickt.
Oder die Kürzung der Zuschüsse an Vereine: hier wurde 2010 beschlossen, die Zuschüsse zunächst um 2,5 %, dann um 5 %, dann 7,5 % und schließlich in 2013 um 10 % zu kürzen. Also stehen die jeweiligen Kürzungsbeträge ab 2010 im HSK, im Jahr 2013 dann 13 000 €. Auch dieser Betrag wird nun jedes Jahr (bis zum Ende aller Tage?) wieder als Einsparmaßnahme angegeben, obwohl im Haushalt schon längst keine Ausgabe mehr dafür vorgesehen sein kann.
Wie in diesen drei Beispielen verhält es sich auch bei fast allen anderen sog. HSK-Einsparungen und davon gibt es weit über 200 verschiedene. Aber welcher Sinn, außer einer großen Selbsttäuschung, soll darin stecken, die gleichen Einsparungen jedes Jahr wieder anzugeben, obwohl sich an die Ausgaben schon keiner mehr erinnert? Stolz kann die Verwaltung darauf verweisen und sagen: schaut, wir sparen 50 Mio. € ein! Und dann wird ein neuer Etat aufgestellt, mit einem Defizit von 78 Mio. €, und die schöne Einsparliste dient als Rechtfertigung für Haushaltsgenehmigung oder zusätzlich noch als Eintrittskarte in den Stärkungspakt. Sonst aber auch nichts. Genauso könnte man eine Liste machen, in der z.B. stünde: In 1997 wurde in Mülheim z.B. die Stelle des Kulturdezernenten eingespart, das sparte damals der Stadt z.B. 100.000 € in 1998. Und den Betrag setzte man dann bis zum Jahre 2050 als HSK-Maßnahme in die Liste. Oder wat auch immer, Hauptsache der Haushalt wird genehmigt, weil mit den genialen HSK-Maßnahmen demnächst ausgeglichen (auf dem Papier, dem geduldigen, versteht sich, denn nur die sog. Finanz“aufsicht“ ist noch geduldiger, zumindest bei der „Muster“stadt Mülheim mit Ruhr und Frau Kraft)
Und so passiert das Ungeheure: das Defizit schmilzt dahin, von 78 Mio. jetzt auf 48 Mio. in 2019 (was ja noch nachvollziehbar wäre), dann 26 Mio. in 2020, im darau folgenden Jahr auf 0 und dann wird daraus ein Überschuss, im Jahr 2026 schon 10 Mio.!
Hurra, wir sind gerettet ….
aber halt, wird sich der Leser sagen,
das ist doch irgendwie falsch, oder?!
Das ist bedauerlicherweise auch immer noch die Einstellung bei den kreditgebenden Banken, die für diese mathematische Weiterentwicklung kein Verständnis aufbringen und die neu hinzukommenden Kassenkredite einfach zu den schon laufenden hinzuzählen, und das immer weiter, inzwischen in der kleinen Großstadt Mülheim schon über 1 Mrd. €. Sogar im städtischen Haushalt gibt es, außer der Dokumentation der Kassenkredite, die ja nur auf das mangelnde Verständnis der Banken zurückzuführen sind, noch eine Tabelle, in der ganz „normal“ die Defizite immer wieder vom schon längst negativen Eigenkapital abgezogen werden. Aber auch diese deutlich sichtbare Katastrophe stört niemanden, weil das Eigenkapital ja negativ und damit sowieso schon außerhalb des Definitionsbereichs für normale Haushalte ist, und hier gelten dann ja wahrscheinlich auch andere Gesetze.
Unlängst fabulierte ein Lokalpolitiker dazu: „wenn wir negatives Eigenkapital haben, ist das dann doch wieder Kameralistik wie früher, nicht mehr nach den Regeln des NKF2, oder nicht???“. Recht hat er, bei der kameralistischen Haushaltsführung konnte man noch Verluste (oder z.B. auch den Verfall der öffentlichen Gebäude) anhäufen, ohne dass das gleich so schrecklich aussah. Nur das mit den Kassenkrediten, das gab es damals auch schon.
So kann denn jedes Jahr das Defizit ausgeglichen werden und sich trotzdem ungestört vermehren, neuerdings sogar noch abgefedert durch Gelder aus dem Stärkungspakt, die natürlich nur derjenige bekommt, wer auch tüchtig einspart, natürlich nur nach HSK-Regeln, nicht wirklich. Sollte aber auch das irgendwann an Grenzen stoßen, weil die Ausgaben ja unbeirrt davon weiter steigen, bietet sich doch folgende Lösung an: man weist einige neue Stellen aus, spart diese in einigen Jahren wieder ein, damit erhöht sich dann die Einsparsumme wieder und man darf dann noch höhere Defizite im Jahr damit verrechnen. Einfach genial.
Fazit: Alles in allem eher ein nicht-euklidischer1 Haushalt der Stadt Mülheim ade Ruhr, doch wen interessiert das wirklich?
1) bei der nicht euklidischen Geometrie (Wikipedia) werden einige uns selbstverständlich erscheinende Grundannahmen verändert und daraus läßt sich ein völlig neues, in sich schlüssiges System entwickeln
2) NKF= Neues Kommunales Finanzmanagement, das vor einigen Jahren eingeführt wurde und eigentlich ein normales Rechnungswesen mit Bilanzierung gleich dem in Unternehmen sein sollte
Mehr u.a. unter