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Eine 3 oder 5-Prozent-Hürde kommunal wieder einführen? Genau der falsche Weg!

Die kränkelnde (Parteien-)Demokratie und ihre falschen Rezepte

Seit Jahren verlieren die großen Parteien Stimmenanteile und massenhaft Wähler, insbesondere bei Kommunalwahlen. Sie führen dies immer wieder auf den Wegfall der 5%-Sperrklausel zurück und verlangen die Einführung von zumindest einer 3%-Klausel. Doch die Frage ist: Bessert sich die Ratsarbeit im Sinne des Souveräns, der Wählerschaft, wenn Wählerlisten, Splittergruppen usw. außen vorgehalten werden?

Die MBI in Mülheim/Ruhr können folgendes zur Diskussion beitragen:
Wäre die 5%-Hürde 1999 in NRW nicht weggefallen, wäre die kommunale Wählergemeinschaft MBI womöglich nicht gegründet worden. Noch 99 hatten die MBI das Ziel, für „mehr Transparenz und Bürgernähe“ zu sorgen und hofften, bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten zu müssen, weil die Parteien sich in diese Richtung bewegt hätten. War aber nicht.

Die MBI errangen 1999 aus dem Stand 5,6% der Stimmen (nur 6 Wochen nach ihrer Gründung) und in den 3 darauffolgenden Wahlen jedes Mal über 10%. Kurzum: Der Bedarf für eine konsequente unabhängige Rats-Opposition hier im vordergründig verschlafenen und arg verfilzten Mülheim/Ruhr war und ist anscheinend eindeutig gegeben. Der hohe Wählerzuspruch ist umso bedeutender, da alle lokalen Medien inkl. Lokalradio (alle vom WAZ-Konzern) die MBI fast immer stiefmütterlich bis unfreundlich behandelten und behandeln. Auch der Umstand, dass die MBI 2 Wahlperioden lang drittgrößte Fraktion im Stadtrat waren, führte nicht dazu, dass sie etwa gegenüber Grünen und FDP in den Medien nicht mehr marginalisiert wurden.
Die MBI haben aber anders als die althergebrachten Klientel-Parteien nur einen geringen Teil an sog. Stammwählern. Dennoch wurden sie über 1 Jahrzehnt von mehr Wählern als notwendig erachtet als etwa FDP und Grüne, während SPD und CDU gleichzeitig seit den 90er Jahren in Mülheim kommunal zehntausende Stimmen eingebüßt haben mit steigender Tendenz von Wahl zu Wahl. Gäbe es noch die 5%-Hürde kommunal und keine MBI o.ä., wären die meisten MBI-Wähler wahrscheinlich bei allen 4 Wahlen von 1999 bis inkl. 2014 zu Hause geblieben.
Das besagt eigentlich alles über das Dilemma der kränkelnden (Parteien-) Demokratie vor Ort.

Die 40 Jahre mit absoluten Mehrheiten ausgestattete SPD in der Ruhrgebietsstadt Mülheim schaffte es nicht, sich zu regenerieren, als 1994 hier die erste schwarz-grüne Koalition in einer Großstadt das Sagen bekam. Doch auch Schwarz-Grün schaffte es nicht, sich gegen die SPD-Parteibuch-dominierte Verwaltung durchzusetzen. Insbesondere die Grünen bauten sich ganz schnell in einen nun bunteren Filz mit ein. Bürgerinitiativen, vorher eine Art Basis der Grünen, waren weiter im Verwaltungshandeln außen vor. Genau das führte in der Folge zur Gründung der MBI. Die CDU, jahrzehntelang im Ruhrgebiet mit einer Art Diaspora-Bewusstsein und anteiliger Pöstchenbeteiligung, bewegte sich kaum noch, je mehr die Grünen ihre ursprünglichen Ziele selbst missachteten. Dennoch konnte die CDU bei der Wahl 99 mit aktiver MBI-Unterstützung die OB-Stichwahl gewinnen. Das aber endete im Fiasko, weil Hoffnungsträger Baganz dann voll in den damals vorherrschenden Ausverkaufsrausch verfiel, mit voller SPD-Unterstützung, und er vorzeitig abtreten musste, um bei den mehr als unsauberen Geschichten nicht unterzugehen. Von dem Schock hat die CDU sich bis heute nicht mehr erholt und insgesamt fiel sie wieder zurück in die Diaspora-Mentalität als Steigbügelhalter der SPD bei fast allen wichtigen Punkten. Und so kam es, wie es kommen musste. Heute hat die SPD noch 17, die CDU 15 Sitze im 54-köpfigen Stadtrat, zusammen als große Parteien also gerade noch 5 Sitze mehr als die Hälfte.

Doch unabhängig von speziellen Mülheimer Geschichten hat sich in der gesamten Gesellschaft vieles in den letzten Jahrzehnten deutlich geändert, so dass ähnliche Entwicklungen, aus Sicht der Parteien Erosionsprozesse, vielerorts zu beobachten sind:

Die Bevölkerung hat sich seit den 80er Jahren zusehends ausdifferenziert (oder atomisiert, je nach Sichtweise), die Bindungskraft der politischen Parteien hat sich parallel dazu verringert. Christlich, gewerkschaftlich oder freiheitlich bzw. unternehmerisch orientiert zu sein, trifft auf immer weniger Menschen zu in diesen Alternativen und als durchgehend stringent. Die Zeit der geschlossenen Weltbilder ist endgültig (zum Glück) spätestens seit Ende des Kalten Krieges vorbei. Das Phänomen der Politikverdrossenheit (bzw. zutreffender Parteienverdrossenheit) zunehmender Teile der Bevölkerung wird entsprechend seit langem beklagt. Die Mechanismen der Alt-Parteien sind zusätzlich schon länger immer abgehobener von den Realitäten größerer Teile der Bevölkerung. Von daher sorgt die resignative Grundeinstellung vieler Menschen „Die machen doch eh, was sie wollen“, die sich nicht zufällig immer weiter verbreitet hat, für fast stetig sinkende Wahlbeteiligungen, logischerweise am deutlichsten bei Europawahlen. Das ist eher demokratiegefährdend, jedenfalls aus der/den Parteibrille/n betrachtet.

Gleichzeitig haben sich nämlich in den letzten Jahrzehnten landauf, landab aber auch immer neue Parteien, Listen, Initiativen außerhalb der Alt-Parteien und der Grünen gegründet, die sich außer- und innerparlamentarisch beteiligen wollen.

Diese (Wieder-)Belebung der verkrusteten Demokratie wurde lange Zeit bekämpft oder als Gefahr empfunden,

auch von den Haupt-Medien, die sich i.d. Regel als quasi-Sprachrohre der Alt-Parteien verhalten. Viele Initiativen versuchten oder versuchen auch deshalb, ihre Anliegen über Kandidaturen für Parlamente vorzubringen. Die Wahllisten bei Bundestags- und noch mehr bei Europawahlen sind nicht zufällig bereits lang und länger bis ellenlang. Und das Auftreten neuer Parteien als Konkurrenten hat durchaus Wirkung gezeigt, häufig in größerem Maße als die Parlamentssitze das ausdrücken. Die Grünen z.B. haben seit Ende der 70er Jahre neue Themen auf die Agenda gesetzt, WASG und Linke haben die SPD von ihrem Schröder-Harakiri-Kurs wenigstens ansatzweise zurück geholt und zuletzt haben selbst die Piraten einige verkrustete Strukturen und Diskussionen ein wenig beflügeln können.

Am stärksten beeinflussen konnten bzw. können aber kommunale Bündnisse oder Listen die Geschehnisse vor Ort und das inzwischen auch in NRW, wo die „alten“ Blöcke auch kommunal traditionell über Gewerkschaften, Vereine etc. viel stärker verankert waren oder z.T. noch sind als etwa in manchen süddeutschen Bundesländern. Doch auch das bröckelt bedenklich in NRW.

Die Abwehrkämpfe der Altparteien und ihrer „Hilfstruppen“ in den Verwaltungen und Verwaltungsgerichten etwa gegen mehr direkte Demokratie und Bürgerentscheide waren in NRW sehr langwierig und oft beschämend. Erst in den letzten Jahren hat sich das zwangsläufig nach und nach gebessert aufgrund der großen Anzahl von Bürgerbegehren, deren bürokratische Ablehnung häufig intellektueller Beleidigung gleichkam, was die Parteienverdrossenheit noch weiter beförderte. Dennoch haben die Mächtigen vor Ort oder/und in den Landeszentralen sich mitunter bis heute immer noch nicht oder nur zähneknirschend mit mehr direkter Demokratie abgefunden, wie zuletzt u.a. die immer wieder neu entfachte Diskussion zu Gladbeck mit dem erfolgreichen Bürgerentscheid gegen den Ausbau der A 52 zeigt.

Doch egal: Nahezu alle neu entstandenen Listen und Splittergruppen haben sich mehr Transparenz und Bürgerentscheide auf die Fahnen gehisst. Sie erreichen zumindest noch Teile der Bevölkerung, die sich von der vorherrschenden Parteipolitik zusehends allein gelassen fühlen. Der Erosionsprozess von CDU und SPD wird durch GroKos dagegen eher noch beschleunigt. Wenn dann durch Wiedereinführung von Sperrklauseln zwar die Spielchen um Macht und Pöstchen auch in den Stadt- und Gemeinderäten für die Akteure wieder überschaubarer würden, geht die ohnehin arg kränkelnde Demokratie über in eine reine, noch mehr abgehobene Schaufensterdemokratie, bei der immer mehr Menschen sich außen vor fühlen bzw. sind. Das kann und sollte es nicht sein!

Einer Wiedereiführung einer kommunalen 3 oder 5%-Klausel stehen die Verfassungsgerichte ohnehin eher negativ gegenüber.
Der Mülheimer Stadtrat z.B. hätte auch bei einer 5%-Klausel noch 6 Fraktionen, bei 3% noch zusätzlich die Gruppe der Linken und außer GroKo sind keine 2er-Koalitionen möglich. Ist alles ja in einer Kommune kein Weltuntergang als solches, wenn einzelne Projekte nicht vorher ausgemauschelt werden können und das Für und Wider auch im Rat zur Sprache kommt.

P.S.: Die Ausgrenzung und der Versuch der Stigmatisierung der AfD, die seit den Wahlen am 25. Mai betrieben und versucht wird, ist wieder typisch und kontraproduktiv. Man muss ja AfD-Positionen nicht teilen, doch sollte man ihnen die gleichen Rechte gewähren wie z.B. der inzwischen häufig kleineren FDP. Mit bestimmten AfD-Positionen sollte man sich argumentativ auseinandersetzen, wenn man anderer Meinung ist, nicht durch Ausgrenzung oder Diffamierung.

Sympathie für Sperrklauseln

NRZ Mülheim, 5.7.14, der ganze Artikel hier

Die Sitzverteilung in den Räten macht die Sozialdemokraten nachdenklich. Aber nicht nur sie.
Eine Drei-Prozent-Sperrklausel für die Stadträte: Mit dieser Forderung stößt der Chef der SPD-Landtagsfraktion in Mülheim auf Anklang – aber auch Ablehnung
Es ist ein verlockendes Gedankenspiel: Wie sähe der Stadtrat aus, wenn es bei der Wahl schon eine Drei-Prozent-Klausel gegeben hätte? Der Wahlforscher Manfred Güllner von Forsa hat es für die NRZ ausgerechnet. SPD, CDU und MBI bekämen jeweils eine Stimme mehr und die Einzelvertreter von WIR, Piraten und Bündnis für Bildung sind raus. Damit wären, rein theoretisch, Koalitionen möglich, die jetzt keine Mehrheit hätten, Bis 1999 musste man fünf Prozent der Wählerstimmen erringen, um in den Rat einzuziehen. Dann urteilte das Landesverfassungsgericht, der Gesetzgeber habe die Sperrklausel auf kommunaler Ebene nicht hinreichend begründet. Der Landtag reagierte damals mit der Abschaffung der Sperrklausel. Dass das ein Fehler war, meint nicht nur der SPD-Fraktionschef im Landtag, Norbert Römer. Er fordert jetzt die Einführung einer Drei-Prozent-Hürde für Stadtratswahlen und findet damit auch beim Fraktionsgeschäftsführer der Mülheimer CDU, Hansgeorg Schiemer Anklang.
„Dass das Sinn machen würde, ist für mich keine Frage. Denn auch wenn die Räte ein Spiegelbild des Wählerwillens sein sollen, darf deren Zersplitterung nicht zur Arbeitsunfähigkeit führen. Und diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man schon mit knapp einem Prozent der Stimmen ein Ratsmandat gewinnen kann“, sagt Schiemer.
………….. Dem Bündnis für Bildung reichten bei der Kommunalwahl vom 25. Mai 632 Stimmen, um mit Hasan Tuncer einen Stadtverordneten in den Rat zu entsenden. „Auch wenn wir nur ein Prozent der Wählerstimmen erreicht haben, wäre es schade, wenn diese Stimmen unter den Tisch gefallen wären“, findet Tuncer. Obwohl er einräumt, dass eine Sperrklausel Sinn machen könnte, um rechtsextremen Gruppen den Einzug in den Rat zu verwehren, überwiegen für ihn die Vorteile, die der Verzicht auf eine Sperrklausel mit sich bringt. „Vielfalt im Rat kann viel Gutes für die Bürger bewirken, weil sie für mehr Transparenz und neue Impulse sorgt,“ glaubt er.
Thomas Emons