Schützt unsere Demokratie!
Sept. 12: Erklärung zur politischen Lage aus Sicht der BI „Mülheim bleibt unser“
(Anmerkungen zur brisanten Lage und dem weltweiten Krisentaumel hier oder weiter unten)
Die Initiatoren des Bürgerentscheids „Mülheim bleibt unser“ sehen ihre warnenden Argumente gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums in erschreckender Weise bestätigt. Eine hohe Schuldenlast unserer Stadt, die Finanzkrise der Euro-Zone entlarven ja nicht nur die profitoriente morbide Finanzwirtschaft und die schwächelnde Haushaltssituation der öffentlichen Hand, sondern wir beobachten auch mit Sorge, wie demokratische Strukturen einbrechen.
Wir haben es mit einem grundsätzlichen Problem zu tun. Es muss einem bewusst sein, dass die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen vielleicht kurzfristig bei einem finanziellen Engpass rechnerisch helfen kann, aber sie ist keine generelle Lösung. Sie birgt sogar mehr Gefahren als Vorteile.
Pflichtaufgaben der Gemeinden im Sinne der Daseinsvorsorge müssen in demokratische Strukturen eingebettet sein. Sie dürfen nicht einer Gewinnmaximierung dienen, wie sie die Privatwirtschaft braucht. Sie dienen sozialen, humanitären, bildungsorientierten Aufgaben, die eine demokratische Gesellschaft lebensfähig macht. Für sie sind darum demokratische Strukturen unentbehrlich.
Hier muss die Politik funktionieren und zwar mit durchschaubaren Programmen und in ihren Umsetzungen muss die dazu gehörende Transparenz garantiert sein. Der Rat der Stadt muss darum einen verbindlichen Bürgerkontakt pflegen, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger nahe zu sein. Dazu gehört es , dass die Vertreter der „Repräsentativen Demokratie“ den Willen der Bürgerinnen und Bürger über einen Bürgerentscheid nicht als eine Initiative einer „Gegenmacht“ verstehen, sondern ihn als Hilfe begreifen, um dem Bürgerwillen entsprechen zu können.
Manche Fehlentwicklungen in der Kommunalpolitik hätten bei einer größeren Transparenz vermieden werden können. Wir denken dabei z.B. an die 6,1 Millionen Euro, die mit Swaps (Zinswetten) „verzockt“ wurden.
Als Beispiel kann man auch das kaum durchschaubare Großprojekt „Ruhrbania“ nennen. Es entwickelt sich am Bürger vorbei, ohne belebende Impulse für die marode Innenstadt. Dies waren nur die auffälligsten Ereignisse.
In Mülheim a.d. Ruhr haben Bürgerentscheide die politische Diskussion qualifiziert und verhindert, dass bei politischen Entscheidungen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger ignoriert wurden. Denken wir an die Bürgerentscheide von 2005 und 2007 gegen die Privatisierung und 2012 für die Bruchstraßen-Schule.
Wenn wir die Ereignisse in unserer Stadt in einem größeren Zusammenhang sehen, dann ist schnell zu erkennen: Sie sind Spiegelbilder eines über Grenzen hinausgehenden Zustandes.
Die EU-Krise, mit der wir täglich konfrontiert werden, geht nicht spurlos an uns vorbei. Auch wir sind Betroffene. Sie hat uns den Euro-Rettungsschirm (ESM) und den Fiskalvertrag beschert. Viele Bundestagsabgeordnete sehen ihre Rechte als Parlamentarier beschnitten.
Das Bundesverfassungsgericht muss am 12. September entscheiden, ob ESM und Fiskalpakt mit unserer demokratischen Verfassung überhaupt vereinbar sind. Hier wird erkennbar, wie komplex das Problem ist. Wir müssen verstärkt auf unsere demokratischen Rechte achten. Wir müssen sie schützen und erweitern.
Mülheim, den 5.9.2012
Reinald Schnell („Mülheim bleibt unser“)
Mehr zu „Mülheim bleibt unser“
- April 12: BI “Mülheim bleibt unser” fragt nach Verantwortung der OB bei swap-Verlusten hier
- Jan. 12: PPP-Bilanz nach zwölf Jahren katastrophal hier
- April 11: Irrweg PPP-Schulsanierung hier
- Okt. 09: BI „Mülheim bleibt unser“ hier
- Die Erneuerung des erfolgreichen Bürgerentscheids 2005 gegen weitere Privatisierung in Mülheim, insbesondere per PPP, scheiterte im Sept. 2007 leider knapp am zu hohen NRW-Quorum. Mehr hier
- weitere Literaturhinweise und Links zur Privatisierungsproblematik
MBI-Anmerkungen zur brisanten Lage und dem weltweiten Krisentaumel im Sommer 2012:
Der arabische Frühling verwandelte sich spätestens mit Syrien eher zum Herbststurm, dann der Atomkonflikt mit dem Iran, Afghanistan und kein Ende, die ungelöste USA-Finanz- und Wirtschaftskrise und vor allem die Eurokrise, die sich von astronomischen Milliardensummen als Rettungsschirme immer weiter hochkatapultiert mit ungewissem Ausgang. Noch ist Deutschland vom wirtschaftlichen Abschwung nicht erfasst, wird dem aber als EU-Zahlmeister kaum wirklich entgehen können. Die Vorboten sind bereits unübersehbar, ob Schlecker- oder Neckermann-Pleiten u.ä., besonders aber im kriselnden Ruhrgebiet mit drohenden Massenentlassungen bei Karstadt, Thyssen, RWE, Opel, EON usw..
Genauso bedrohlich ist parallel der rapide Zerfall der Demokratie auch in Deutschland. Das Erschreckende dabei ist die Leichtfertigkeit, mit der die gewählten Volksvertreter dies befördern. Der kometenhafte Aufstieg der Piraten selbst ohne Programm und nur noch 25% Wahlbeteiligung zur OB-Stichwahl in Duisburg anstatt des überfälligen Neubeginns nach der jämmerlichen Sauerland-Episode sind bereits deutlich. Mehr zu “Demokratiedebakel in Duisburg – warum?” hier
Die beabsichtigte, tiefgreifende Selbstentmachtung des Berliner Parlaments für ESM (Europäischer Rettungsschirm) und Fiskalpakt zugunsten eines Direktoriums aus einer Handvoll Technokraten würde die Demokratie gänzlich aushöhlen. Der Bundestag hat sogar mit Zweidrittel-Mehrheit Anfang Juli seine Selbstentmachtung “mal eben” beschlossen. Das Verfassungsgericht soll nun am 12. Sept. entscheiden, ob er das überhaupt durfte, ohne die Verfassung auf den Kopf zu stellen. Mehr auch in
- FAZ vom 28.7.12: “Schuldenkrise Retten ohne Ende – Der Sprengstoff des Rettungsschirms ESM steht im Kleingedruckten: Für die Haftung gibt es keine Obergrenze. Und das Parlament wird entmachtet.” Ein Gastbeitrag von Prof. Stefan Homburg hier
- xtranews vom 2.9.12: “ESM – Wohin geht Europa? Ein Weg abseits der Demokratie?”