Heimat – Zukunft – Stadt, wie passt das noch zusammen in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und Massenimmigration?
Unter dem Motto „Heimat-Zukunft-Stadt“ kamen Ende Mai 2017 über 1000 Delegierte und Gastdelegierte zur 39. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages nach Nürnberg. Das Motto war eigentlich richtig gewählt, denn die rasanten Änderungen der letzten Jahre durch Globalisierung, Digitalisierung und Massenzuwanderung haben das Leben auch in vielen deutschen Städten dramatisch verändert. Viele Menschen und Organisationen sind oder fühlen sich überfordert oder sogar abgehängt. Hinzu kommt häufig eine deutliche Überfremdung der angestammten und z.T. auch der schon länger Zugewanderten, was zusätzlich große Probleme bereitet.
Und so macht sich in vielen deutschen Städten zusehends ein Gefühl von Heimatlosigkeit breit, nicht nur bei den Millionen frisch Zugewanderten, die ja häufig auch entwurzelt sind, sondern auch bei denen, die schon länger hier sind, wie Frau Merkel die zumeist deutschstämmigen Einwohner klassifizierte. Doch bekanntermaßen sind Entwurzelung und Heimatlosigkeit Symptome einer immer mehr auseinanderbrechenden Gesellschaft, geprägt von Parallelwelten, schweren sozialen Problemen und schwierig zu kontrollierender Sicherheitslage. Politisch drückt sich das u.a. auch im Anwachsen der sog. Populisten aus oder in der Ratlosigkeit vieler Menschen, was sie überhaupt noch wählen können und sollen.
Aus all den Gründen heraus war die Frage danach, wie unsere Städte in Zukunft noch Heimat und Zusammen-gehörigkeitsgefühl vermitteln können, genau richtig gestellt.
Auch Nürnberg als Treffpunkt war geradezu prädestiniert, diese Fragen richtig zu stellen und ernsthaft anzugehen, ohne in die Falle der Vergangenheitsverklärung zu tappen, denn auch und gerade das überhöhte und rassistisch instrumentalisierte Heimatgedusel in der düstersten Zeit der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 45 hat dem Heimatbegriff schwer geschadet und ihn verdächtig gemacht.
Nürnberg ist eine reiche und äußerst geschichtsträchtige Stadt, nicht zuletzt wegen der unseligen Sonderrolle, die die NSDAP der Stadt verliehen hatte und auch wegen der Nürnberger Prozesse nach Kriegsende gegen die wichtigsten Nazi-Verbrecher. Auf dem gigantomanischen ehemaligen Reichsparteitagsgelände von Hitler&Co, das als quasi heilige Stätte der Nazis ja für nur 1 Woche pro Jahr benutzt werden sollte und zum Glück nur ansatzweise fertig wurde, fand am Pfingstwochenende „Rock im Park“ auf dem einstigen Aufmarschierplatz für 200.000(!) damals schrecklich fanatisierte Parteisoldaten statt, nach „Rock am Ring“ das größte Festival in Deutschland und anders als am Nürburgring ohne Störungen oder islamistische Gefahren.
Auf dem riesigen ex-Naziaufmarschier- und Parteitagsgelände befindet sich heute auch die recht große Messe Nürnberg, in deren Ostteil der Deutsche Städtetag seine im 2-Jahres-Rhythmus stattfindende Hauptversammlung durchführte. Es wurde eine Nürnberger Erklärung verabschiedet, die aber in allen bekannten Punkten nur Allgemeinplätze enthält und real niemandem wirklich hilft. Um Aussagen zu Stadt als Heimat mogelte man sich fast vollständig herum. Die Präsidentin des Städtetages, die OB aus Ludwigshafen, verstärkte die Forderung nach mehr bezahlbarem Wohnraum und der Geschäftsführer betonte noch einmal, dass die erheblichen Disparitäten zwischen den Städten angegangen werden müssten. Bei dem Wie blieben beide bei der stereotypen Forderung nach mehr Geld hauptsächlich vom Bund.
Die Höhepunkte des Städtetages waren nämlich die Auftritte von Frau Merkel (CDU) am 31. Mai sowie tags drauf die Herren Gabriel (SPD) und Herrmann (CSU) – stellvertretend für den zuvor angekündigten Seehofer. Das zeigt bereits den Schwerpunkt und die unausgesprochene Hauptzielsetzung dieses Städtetages, nämlich Wahlkampf vor den mehr als 1000 Delegierten und notwendigen Parteiaktivisten vor Ort.
Frau Merkel zeigte sich souverän und siegessicher. In einer langen Rede bedankte sie sich ausführlich bei den Städten, die auf so hervorragende Weise die Flüchtlingskrise gemeistert hätten. Die Hauptprobleme seien nun überwunden, der Zuzug im Griff und jetzt fehle nur noch die endgültige Integration. Aber auch das wäre kein Problem und der Bund gäbe mehr Geld dafür an die Städte. Alle – oder zumindest fast alle, schienen gebauchpinselt, taten begeistert und klatschten frenetisch.
Dann wandte sich „Mutti“ den anderen großen Aufgaben zu, womit die alte Bundesrepublik vollständig umgemodelt wird oder werden soll. Da sind dann u.a. die Themen Bund-Länder-Finanzausgleich und Digitalisierung. Bei ersterem tat sie so, als sei das schon beschlossen, was ja erst tags darauf im Bundestag und 2 Tage später im Bundesrat als ganz große Grundgesetzänderung durchgepeitscht wurde. Sie pries die finanziellen Wohltaten des Bundes für die Städte und mahnte, dass die Länder oft „klebrige Hände“ hätten und die Gelder des Bundes nicht vollständig an die Kommunen weiterleiteten. Das gefiel dann den Delegierten des Städtetags erneut bestens und es gab auch dafür standing ovations. Von den „Nebenwirkungen“ dieser 31 GG-Änderungen wie Autobahnprivatisierung oder Abbau des föderalen Struktur oder, und, oder … „natürlich“ kein Wort und so blieb der Eindruck von der „ewigen“ Kanzlerin als Wohltäterin und Freundin der Kommunen.
Auch bei dem weiteren Zukunftsthema Digitalisierung überwog ihre Ankündigung einer besseren Welt ohne die schwierigen Nebenwirkungen herauzustellen, außer dass „natürlich“ die Gefahr besteht, dass die bereits riesige Disparität zwischen den Städten (in Realität auch innerhalb der Städte) dadurch noch vergrößert werden könnte. Doch auch dagegen hilft Frau Merkel in ihrer großen Weitsicht. Jedenfalls hat sie u.a. freies W-LAN in jeder Stadt versprochen.
Fazit: Frau Merkel fühlt sich anscheinend wieder als mächtigste Frau der Welt und neu erstarkt wirkt sie ein wenig wie eine Kaiserin von Neu-China. Nicht zu vergessen: Tags zuvor hatte der indische Ministerpräsident sie besucht und direkt vom Städtetag eilte sie zum Treffen mit Chinas Staatspräsidenten.
Gegen soviel Klugheit, Weitsicht und Gönnerhaftigkeit einer Weltenlenkerin konnte dann SPD-Gabriel am nächsten Tag kaum anstinken, doch er war insgesamt wenigstens locker und witzig.
Und der bayrische Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, heute noch Innenminister im Freistaat, behauptete an zahlreichen Beispielen, dass Bayern einfach überall Spitze ist, selbst bei direkter Demokratie, was in dem Punkt sogar zutrifft.
Fasst man also den Städtetag zusammen, bleibt neben der Merkel-Show insgesamt wenig, was in den Städten helfen könnte, das bedenkliche Auseinander-brechen der Gesellschaft zumindest zu verlangsamen. Das betrifft logischerweise am stärksten die hoch verschuldeten Städte vor allem im Ruhrgebiet, dem Bergischen Land, dem Saarland, Bremen usw.. Vor allem in den Krisenregionen von NRW haben die Auswirkungen der verfehlten EU- und Bundespolitik über Jahre problematische Strukturen geschaffen und verfestigt, die mit mehr Geld aus Berlin oder Brüssel kaum noch in den Griff zu bekommen sind. Etwa in den Innenstädten, aber auch bestimmten Problemvierteln der Metropole Ruhr mit seinen über 5 Millionen Menschen, ist z.B. Deutsch bereits häufig die Ausnahme und die Integration des Multi-Kulti so fern wie lange nicht.
Dass sich dort nicht alle Menschen noch heimisch fühlen, ist nachzuvollziehen. Der gesamten Problematik hätte sich ein deutscher Städtetag intensiver widmen müssen, wie es im Motto auch irgendwie angekündigt war. Doch außer mit hohlen Sprüchen wie „Heimat ist ein Gefühl“ vermieden alle tunlichst, mehr dazu zu sagen. Dabei kennen sicher alle OBs und Stadtpolitiker die Probleme zu Hauf, nicht nur aus Pirmasens, Bremerhaven, Solingen oder Duisburg usw..
Und so war die Hauptversammlung des Städtetages eine vertane Chance, quasi von unten her zu beginnen, die gesamte EU- und Bundespolitik wieder mehr auf die Beine zu stellen, denn überfordert sind viele Städte sowie nicht unbeträchtliche Teile ihrer Bewohner und das im finanziell noch reichen Deutschland, nicht nur in Krisenregionen wie dem Ruhrgebiet. Da hätte man der Kanzlerin und dem ex-SPD-Chef einiges aus der Realität mit auf den Weg geben können und müssen. Anstelle dessen bot man ihnen nur eine willkommene Bühne für Wahlkampf.
Die Probleme zunehmender Heimatlosigkeit und entwurzelter Menschen richten sich aber selten nach Wahlterminen.
L. Reinhard, MBI-Fraktionssprecher und Gastdelegierter auf dem Städtetag