Wirtschaftsboom, Niedrigstzinsen und sprudelnde Steuereinnahmen haben in den letzten 3 Jahren auch den meisten deutschen Städten Überschüsse beschert. Alle Ruhrgebietsstädte außer Mülheim konnten endlich nach langer Zeit zumindest ausgeglichene Haushalte vorweisen und selbst Duisburg mit viel größeren Soziallasten als Mülheim konnte in den letzten Jahren sogar 120 Mio. € Kassenkredite abbauen. Laut Ernst&Young (WAZ vom 20.11.) sank die Verschuldung aller Kommunen um 3,5% außer bei 10 deutschen Städten, wo im Schnitt die Verschuldung um 0,7% anstieg, in Mülheim sogar um 5,5%. Kurzum: Die zu Ende gehende Boomphase hat das Mülheimer Finanzdesaster nicht gebremst, im Gegenteil, und einen Crash nur etwas hinausgeschoben.
Dass kaum jemand in Verwaltung und Mehrheit der Mülheimer Politik etwas anderes als „Weiter wie gehabt“ im Sinn hatte, zeigte erneut nicht nur der Ende Aug. eingebrachte Etatentwurf für 2019, sondern auch die gesamte Entwicklung dieses Jahres mit einer Hiobsbotschaft nach der anderen bis hin zum verheerenden neuesten Finanzabenteuer, der VHS-Schließung. Zu allem Überfluss hatte man nichts Besseres zu tun als monatelanges kleinkariertes Gezänk zur Lapalie „Causa Scholten“.
Unsere kleine Großstadt Mülheim/Ruhr mit ca. 170.000 Einwohnern hatte bisher, abgesehen von den Stadtfinanzen, als Ruhrgebietsstadt weniger strukturelle Probleme als viele Nachbarstädte. Die Arbeitslosigkeit war stets vergleichsweise niedrig, die lokale Wirtschaft ausgesprochen robust und diversifiziert und das Durchschnittseinkommen liegt mit über 38.000 € sogar deutlich über dem NRW-Durchschnitt.
Dennoch hat unsere Stadt inzwischen mit 9650 € die mit Abstand höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller NRW-Großstädte und hatte laut Bertelsmann-Studie im letzten Jahrzehnt das höchste Verschuldungstempo aller deutschen Großstädte. Noch viel gravierender aber ist: Mülheim ist als einzige Großstadt weit und breit seit Jahren auch bilanziell überschuldet mit dramatischen Zuwachsraten, hat also ein negatives Eigenkapital. Zweck und Ziel jeder Haushaltsplanung, von Haushaltssicherungskonzepten, Sanierungsplänen oder Stärkungspaktmitteln einer finanzschwachen Kommune oder eines kriselnden Betriebes ist es, den Eintritt der bilanziellen Überschuldung zu verhindern, weil das eigentlich Zahlungsunfähigkeit bedeutet und ein Insolvenzverfahren in Gang setzen müsste. Mit anderen Worten: Seit Jahren ist die Finanzlage der Stadt Mülheim gesetzeswidrig, weil die dauerhafte bilanzielle Überschuldung weder vorgesehen, noch erlaubt ist.
Exkurs: Ab dem Jahresabschluss 2013 ist Mülheim hochgradig auch bilanziell überschuldet, das sog. „Eigenkapital“ besteht also nur noch aus Schulden. Oder anders ausgedrückt:
Selbst wenn die Stadt alles verkaufen würde, was sie besitzt inkl. aller Straßen, Grünflächen, Schulen, Aktien usw., und für ausnahmslos alles den bilanzierten Wert ausgezahlt bekäme und zur Schuldentilgung nähme, wären Ende 2019 noch fast 600 Mio. € an Schulden übrig. (Das aber veranlasste auch die Finanzaufsicht des Landes über Jahre zu keiner Maßnahme o.ä., obwohl bekanntlich das Land NRW für seine Städte haftet, anders als z.B. in den USA, wo Detroit wegen ähnlicher Lage als Stadt Konkurs anmelden musste mit radikalen Einschnitten und bitteren Folgen.)
Der Kämmerer hat am heutigen Montag, dem 26.11.18, den Finanzpolitikern erneut eine schlechte Botschaft übermittelt: Das Defizit im Mülheimer Haushalt 2018 prognostiziert Frank Mendack jetzt auf 46,3 Millionen Euro, das sind 21,8 Millionen mehr, als ursprünglich mal kalkuliert. Bereits im Laufe des Jahres hatte Mendack signalisiert, dass die knapp 25 Millionen Miese, mit denen die Stadt ohnehin gerechnet hatte, deutlich überschritten werden. Die im Februar verhängte Haushaltssperre verhinderte noch Schlimmeres. Vor allem die Mindererträge in Höhe von 34,4 Millionen Euro bei der Gewerbesteuer seien für das hohe Defizit verantwortlich, so Mendack. Dazu: Ausgabensperre wegen Aldi-Investitionen? Nicht wirklich!
Die Grünen drängen nun scheinheilig auf eine Aufarbeitung der Ursachen der anhaltenden Mülheimer Finanzmisere. Im Finanzausschuss fordern sie per Antrag die Verwaltung auf, die Ursachen des Abrutschens zu benennen. Die Grünen verlangen eine Liste, die sowohl hausgemachte wie auch überörtliche Ursachen für die hohe Verschuldung aufführt. WAZ: „Das neue Haushaltsloch wächst jetzt auf 46,3 Millionen Euro“
Über Jahre haben die MBI auf die Ursachen hingewiesen und eindringlich gewarnt. Hat auch die populistischen Grünen nicht interessiert, die seit Jahren nicht nur jeden „Haushalt“ mitgetragen haben, sondern auch noch die Haushaltslöcher kräftig mit vergrößert haben, weil sie etliche Klientels zusätzlich bedienten als Tribut für ihr Wohlverhalten. Und: Mehrfach haben sie die MBI öffentlich und heftig attackiert, weil wir vor der aufziehenden Etatkatastrophe warnten. Vgl. u.a.: Mülheimer Haushaltsdesaster und grüner Unfug dazu
Der Kämmerer nannte bisher neben des Jammerns über zu wenig Einnahmen durch Gewerbesteuer (welche bisher im wirtschaftsstarken Mülheim relativ zu Einwohnerzahl stets üppiger ausfiel als in den meisten anderen Ruhrgebietsstädten!) 2 wichtige hausgemachte Gründe für das Finanzdesaster: 1.) der teure ÖPNV und 2.) die enormen Kosten für die vielen PPP-Projekte (eingedeutscht ÖPP=Öffentlich Private „Partner“schaften)
zu 1.) Mit jährlich ca. 35 Mio. € Zuschuss ist der Mülheimer öffentliche Nahverkehr extrem teuer und das auch noch, wo der ÖPNV in Mülheim wenig attraktiv und noch weniger effektiv ist. Aus der Logik der Kämmerer, sowohl des jetzigen wie seines Vorgängers, alias „Bonanopulos“, soll dieses Defizit verringert werden mit „Bus statt Bahn“. Weil eine Ratsmehrheit dem folgte, wurden bereits einige StraBa-Äste stillgelegt (Flughafenast der 104, Linie 110 nach Styrum). Seit Jahren quält man sich zusätzlich mit dem Ansinnen, auch noch den Kahlenbergast der 104 ganz aufzugeben und die Grünen sind in dem Punkt voll dabei!. Nun müsste das Land dafür mind. 16 Mio. € Rückzahlung einfordern. Das will man dem RP dennoch irgendwie abverhandeln. Doch: Trotz der bisherigen Stilllegungen sind die ÖPNV-Zuschüsse nicht weniger geworden.
Nun liegt Mülheim mitten zwischen Duisburg, Oberhausen und Essen mit z.T. nahtlosem Übergang. Es ist absurd, in der Mitte das Straßenbahnnetz auszudünnen, wenn man die dringend erforderliche Verkehrswende im westlichen Ruhrgebiet wirklich angehen will. Weil aber Nahverkehrsplanung einzig Sache des jeweiligen Kirchturms ist, passiert außer immer neuen Gutachten, unnützen Koordinierungsproblemen und -palavern nit den Nachbarstädten usw. nichts in der Richtung.
Seit vielen Jahren fordern die MBI die Fusion der einzelnen Verkehrsgesellschaften sowie ein einziger Nahverkehrsplan für das Revier. Dass die Einzelkirchtürme von sich aus keine Entscheidungshoheit aufgeben würden, ist logisch. Deshalb muss das Land die Beseitigung dieses riesigen Missstands in die Hand nehmen. Anders wird aus Verkehrswende nichts wirklich.
ad 2.) Zu Beginn des Jahrtausends bewerkstelligte Mülheim die fast vollständigen Teilprivatisierung (=Verkauf von Anteilen) der Ver- und Entsorgung: Müllabfuhr und Straßenreinigung zu 49% an Trienekens (später RWE, heute Remondis), Gas- Wärme- und Energiedienstleistung zu 49% an RWE als medl-GmbH, Wasserversorgung zu 80% an RWE, Abwasser zu 75% an medl, d.h. zu 38,5% an RWE floss vorübergehend viel Geld in die Stadtkasse hauptsächlich beim Wasserwerksverkauf und die Stadt benötigte 2003 keine Kassenkredite, die übrigends vor 1998 nie benötigt wurden. Aber 2004 bis heute siegen die Kassenkredite exponentiell Jahr für Jahr und sie betragen heute fast 1,2 Milliarden € bei Gesamteinnahmen inkl. aller Zuschüsse von ca. 750 Mio./Jahr. Ab 2006 stieg man dann auf immer mehr PPP-Projekte um als Umwegfinanzierung, weil die nicht mehr als Investitionen im Haushalt auftauchten, sondern später unter Mieten mit jährlichen Preisanpassungen, versteht sich. So konnte Mülheim sich 2 neue, z.T. völlig überdimensiorierte Feuerwehren leisten, ohne den erlaubten Investitionsrahmen zu belasten. Aber auch ein neues Medienhaus (statt der vorherigen Bücherei), die Sanierung der 3 größten Schulen im Paket inkl. der 25-jährigen Betreibung durch den Baukonzern Strabag, die Umgestaltung des Restrathauses, das völlig neue stadtgeschichtliche Museum inkl. Musikschule und Stadtarchiv usw. in der ehemaligen Augenklinik, das Haus der Wirtschaft inkl. Gründermuseum in der ehemaligen Firmenzentrale von August Thyssen, und kleinere Projekte wie Kitas o.ä. konnte man sich per PPP aufwendig leisten, obwohl man eigentlich schon dafür kein Geld mehr hatte. Hinzu kamen noch etliche Anmietungen von fremden Gebäuden, weil für das Prestigeprojekt Ruhrbania bestehende Infrastruktur zerstört wurde, um Bauland in der Innenstadt anbieten zu können – so z.B. anstelle des Rathausneubaus Anmietung eines umgebauten Wohnturms (einst für Sozialen Wohnungsbau) als „Technisches Rathaus“ oder Anmietung eines leerstehenden ex-Möbelhauses als umgebautes neues Bürgeramt, damit das vorherige Bürgeramt für das Medienhaus abgerissen werden konnte um für Ruhrbania die Bücherei am Rathaus beseitigen zu können.
Den Verkauf von städtischen Altenheimen hatte 2005 ein erfolgreicher Bürgerentscheid verhindert. Das Bürgerbegehren 2007 gegen PPP-Projekte scheiterte ganz knapp an dem damals noch gültigen 20%-Quorum in NRW, aber auch daran, dass Ver.di, GEW und Grüne sich zu den Reihen der PPP-Befürworter von SPD, CDU und FDP (Vanuatu-Koalition) geschlagen hatten.
Und so sitzt heute die durchprivatisierte Stadt auf einem hohen, unabänderlichen Sockel an festen Ausgaben für Mieten u.ä., weil per PPP usw. auf 25 Jahre gebunden.
„Natürlich“ gibt es noch weitere wichtige hausgemachte Verursacher des Mülheimer Finanzdesasters wie ein überverhältnismäßig aufgeblähter Personalbestand inkl. der aus dem Kernhaushalt ausgegliedeten GmbHs, Filz-Vettern- und Cousinenwirtschaft in Rot-Schwarz-Grün und ein bischen Gelb schillernd und mit heftigen Korruptionsskandalen, unverantwortliche Spekulationsgeschäfte wie swaps und Währungskredite, wo man den Beratern auf den Leim ging und mit 20 bis 30 Mio. Minus abschloss uswusf…