Ein rabenschwarzer Tag für Mülheim: Kein Haushalt, dafür 3 Schulen zu Finanzprodukten gemacht! Offenbarungseid von Rot-Rot-Grün und der Irrweg PPP mit seinen zugehörigen Folgeerscheinungen von Intransparenz und Aushebelung demokratischer Kontrolle – Irgendwo zwischen Absurdistan und Bananenrepublik
27. Mai 2010: Ratsitzung der Stadt Mülheim mit 2 wesentlichen, krassen Fehlentscheidungen:
- Der Rat beschloss mit knapper Mehrheit der Stimmen von SPD, Grünen und den versprengten Linken-Varianten, den Etat 2010 auch nicht am 9.7.2010 zu verabschieden (nachdem dies erst vor 2 Wochen von einer Kungelrunde vom 27. Mai auf Juli verschoben worden war!, vgl. hier). Nun soll am 7. Okt. ein Doppelhaushalt 2010/2011 beschlossen werden. Dieser müsste aber vorher noch aufgestellt und eingebracht werden.
- Der Rat der Stadt Mülheim beschloss ferner die Vergabe zu einem ganz großen Geschäft wie selten. Der TOP lautete „Sanierung/Modernisierung mit teilweise Neubauten von drei Mülheimer Schulen sowie Gebäudebetrieb von ausgewählten Schulen“ und meint die Sanierung von Karl-Ziegler- und Luisengymnasium sowie der Willy-Brandt-Gesamtschule für über 50 Mio. Euro und die Betreibung dieser 3 Schulen zusammen mit der Grundschule Augustastraße für die nächsten 25 Jahre als sog. ÖPP-Geschäft (öffentlich private Partnerschaft). Mehr zu dem PPP-Irrweg hier
Das Betreibermodell ist das problematischste bei PPP, u.a. auch weil damit Schulentwicklungsplanung präjudiziert wird. Ohne es zu sagen, wurde damit auch der Tod eines anderen Gymnasiums beschlossen, wahrscheinlich des Otto-Pankok-Gymnasiums.
Mind. eine halbe Million wurde dafür an Vorkosten für Gutachter, Anwälte etc. bereits ausgegeben, die immensen internen Kosten nicht berücksichtigt. Dafür lag den Stadtverordneten ein 6-seitiges „öffentliches“ und ein 149-seitiges „nichtöffentliches“ Papier vor. Nachdem der Reste-Rat nichtöffentlich dafür stimmt, hat er auf sich auf 25 Jahre selbst aus diesen 4 Schulen herausgestimmt. Der private „Partner“ ist alleine zuständig für Hausmeister, Putzfrauen, Reparaturen, Instandhaltung, Grünflächen-, Energie-, Abfallmanagement, Straßenreinigung und Winterdienst. Die Stadt bezahlt dafür „Miete“ in den eigenen Gebäuden, und zwar für jeden einzelnen Punkt. Die Höhe der jeweiligen Entgelte steht aber nicht in der Beschlussvorlage. Zusätzliche Einnahmen kann der „Partner“ bzw. seine Sub- oder Subsub-Firma erhalten durch ein ausgeklügeltes Bonus/Malussystem, z.B. zahlt die Stadt bei Putzfrauen und bei Hausmeistern a priori 10% Extra-Bonus, benotet die Leistung von 1 bis 5 und zieht dann ggfs. vom Bonus Anteile wieder ab.
Bei der Baufinanzierung für die 50 Mio.-Investition zahlt die Stadt die Kreditaufnahme und die Bauzwischenfinanzierung 25 Jahre lang in festen Raten ab. Dafür hat der „Partner“ seine Gesamtforderung einer Bank übertragen, gegenüber der die Stadt sich per „Forfaitierung mit Einredeverzicht“ erklärt, d.h. es wird immer gezahlt, egal was geschieht. Mit diesem Finanzprodukt kann dann die Bank Handel betreiben, egal wie und mit wem.
In dem Vergabeverfahren für das lukrative Geschäft im Gesamtwert von mind. 160 Mio. € gab es 3 Bieter, eine lokale Bietergemeinschaft und 2 weltweit agierende Baufirmen. Der Rat hat dieses Verfahren 2008 beschlossen. Er kann nun schwerlich nicht für den nach den eigenen Kriterien ermittelten „Bestbieter“ stimmen. Insofern ist die ganze Abstimmung bereits eine Farce. Lustig wurde es aber, weil Aufsichtsratsmitglieder in den Müttergesellschaften der unterlegenen lokalen Bietergemeinschaft urplötzlich wegen „Befangenheit“ die Sitzung verlassen mussten. Das sind pikanterweise die OB, beide Bürgermeister, der MBI-Fraktionssprecher, eine grüne Ratsfrau, ein Geschäftsführer der Wohnungsbaugenossenschaft in der Bietergemeinschaft und weitere knapp 10 Ratsmitglieder. Auch der Kämmerer ist derart „befangen“ und darf eigentlich nicht mitreden, musste aber anders als die anderen den Saal nicht verlassen.
So also musste die Ratssitzung in diesem wichtigsten Punkt vom ältesten Ratsmitglied geleitet werden und darf den Kämmerer nicht zu Wort kommen lassen. Es wäre sicher noch lustiger geworden, wenn der MLPD-Vertreter zufällig der Älteste wäre, oder? Doch auch ohne hatte das alles – über eineinhalb Jahre nach dem Platzen des Kasino-Zocker-Finanzmarktes – eine fast kabarettistische Note, wenn die Entscheidung nicht so folgenschwer wäre!
So also beschlossen die gewählten Volksvertreter „nach bestem Wissen und Gewissen“ das größte Geschäft der Stadt seit langem, ohne Genaueres zu wissen. Gleichzeitig beschlossen sie ihre eigene zukünftige Entmündigung dabei. Für all das reicht das teure Gutachten, in dem das ÖPP-Modell als um 7,5% wirtschaftlicher gerechnet wird, was aber nicht wirklich nachvollziehbar ist und jeglichem gesunden Menschenverstand widerspricht.
Es ist also mehr eine Glaubensfrage, bei der das Fatale darin besteht, dass die Ratsmehrheit aus SPD, CDU, FDP und Grünen (Vanuatu-Koalition) seit Jahren alles so eingestielt hat, dass sie nicht mehr zurück konnten, selbst wenn sie wollten. Zu lange haben sie Eltern und Schüler immer und immer wieder vertröstet.
Die gesamte Maßnahme in dieser Dimension ist vom Haushalt her nicht mehr finanzierbar, d.h. diese Umwegfinanzierung über ÖPP gibt Geld aus, das nicht mehr da ist mit abenteuerlichen Konstruktionen und unkalkulierbaren Risiken, die auch in den 19 dicken Aktenordnern Vertragswerk nicht ausgeschlossen werden können. Dafür aber sind bereits die Gelder unserer Kinder verpfändet, mit Einredeverzicht auf 25 Jahre!
Ein rabenschwarzer Tag für Mülheim, bei dem 3 unserer großen Schulen zu Finanzprodukten wurden und die kommunale Demokratie sich dazu selbst enthauptete. Und dann noch der Beschluss davor, den Etat 2010 auch im Juli nicht zu beschließen, sondern im Oktober einen Doppelhaushalt einzubringen. Der ganz große Offenbarungseid!
Da erklärt sich ein Rat erst für unfähig, für das laufende Jahr überhaupt einen Haushalt aufstellen zu können und beschließt danach mit einer Rest-Truppe ein mind. 160-Mio €-Paket als Umwegfinanzierung, das aber im Haushalt erst einmal nicht als solches auftaucht. Das alles ist viel schlimmer als der eigentlich überfällige Offenbarungseid, den die Explosion der Kassenkredite schonungslos zeigt, vgl. Etatentwurf 2010, S. 38, nachzulesen hier
P.S. 1: Der Name der Baukonzerns, der ÖPP-„Partner“ werden soll, wird geheimgehalten wie ein Staatsgeheimnis. Fürchten die „Strategen“ den verständlichen Ärger des lokalen Handwerks, das dabei außen vor bleibt?
P.S. 2: Die MBI haben bei den PPP-Verträgen noch 2 Änderungen erwirken können, aus purer Verantwortungslosigkeit, versteht sich. Zum einen nimmt die Stadt bei der Baufirma keinen 50 Mio.-„Kredit“ mehr auf, alles wurde in „Stundung“ umgewandelt, warum auch immer. Zum zweiten wird das Bonussystem bei Putzfrauen+Hausmeistern gestrichen. Das alleine macht geschätzt mind. 7000 € im Monat weniger und das auf 25 Jahre!
Aber es scheint so, als hätten sich ohnehin nur die MBI genauere Gedanken um die Verträge gemacht.
- MBI-Fragenkatalog zu TOP 7.1 (öffentlich) und TOP 20.1 (nichtöffentlich) der Ratsitzung am 27.5.10: ” Sanierung / Modernisierung mit teilweisen Neubauten von drei Mülheimer Schulen sowie Gebäudebetrieb von ausgewählten Schulen im ÖPP-Modell – Vorlagen: V 10/0277-01 und V 10/0278-01″, nachzulesen als pdf-Datei (35 KB).
- Mehr auch in “MBI-Fragen zu PPP-Fallstricken” hier
- PPP-Irrweg Schulsanierung hier