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Sparkommissar als Feind der Demokratie?

Wer den unten in Auszügen zitierten herzerweichenden Artikel in der Süddeutschen liest, glaubt an den Untergang der Demokratie in den hochverschuldeten Ruhrgebietsstädten, weil das Land NRW den bankrotten Einzelstädten und -städtchen Sparmaßnahmen aufoktroyiere, wobei die Stadträte und Ober- oder nur Bürgermeister völlig entmündigt würden.
Die böse „Zeche-EwaldStaatsmacht“ entmündigte derart kürzlich das 60.000 Einwohner große ex-Bergbau-Städtchen Herten (Zeche Ewald, im Bild links bei der Extraschicht 2013) und diktierte Sparmaßnahmen. Bürgermeister und Stadtrat mussten zuschauen, weil sie selbst keine Sparmaßnahmen zustande bekamen, ohne die aber Millionen als „Stärkungspakt“ des für das bankrotte Städtchen haftenden Landes NRW nicht ausgezahlt werden dürfen. Und nun klagt Herten gegen das Land vor Gericht auf Auszahlung der Landesgelder, denn die Hilfen hätten sich als Fluch erwiesen, so der Bürgermeister. Eine scheinbar ausweglose Situation, folgt man dem SZ-Artikel.

Doch auch dieses Plädoyer für viel höhere Subventionen an die notleidenden eigenständigen Ruhrgebietsstädte und –städtchen, die in Wirklichkeit nur Stadtteile der Metropole Ruhr sind, vergisst in voller Absicht die Berücksichtigung des nicht unerheblichen Eigenanteils der so auf Eigenständigkeit bedachten Kirchtürme des Reviers und folgerichtig gibt es auch keinen Lösungsansatz außer mehr Geld aus Düsseldorf, Berlin und Brüssel.
Es geht ja auch nicht wirklich, dass die ruhmreiche Spielvereinigung Herten aus der Kreisliga kein Geld für neue Umkleidekabinen bekommt (wo doch Rudi Assauer dort als Kind kickte!). Und die Berufsfeuerwehr, die es in Herten erst seit 2011 überhaupt gibt, kann doch nun wirklich nicht noch einige Zeit auf Ruheräume verzichten, nur weil die Landesregierung derart kaltherzig seine Kommunen kaputtsparen will, oder? Und: Wo kämen wir denn hin, wenn das einst wohlhabende Herten nicht mehr selbständig jede Infrastruktur und seine eigene Rathausabteilung für alles und jeden aufrecht erhalten würde. Und man stelle sich vor, das real bankrotte Städtchen könnte nicht mehr selbständig Pöstchen vergeben, Bauland ausschreiben, eigene Kultur- oder Wirtschaftspolitik betreiben, sondern müsste sich das im Verbund mit Bochum, Herne, Wanne-Eickel, Marl, Gelsenkirchen oder was sonst noch im direkten Umfeld liegt, aufteilen bzw. überhaupt erst einmal koordinieren.
Die sog. Flüchtlingskrise bzw. besser die ungeregelte Massenzuwanderung hat übrigens die Lage der Ruhrstädte und –städtchen strukturell massiv verschlechtert. Fast alle haben gierig nach Zuzug gegriffen als quasi-gottgeschenktes Konjunkturprogramm, mit dem sie endlich wieder Geld ausgeben, Pöstchen schaffen und im eigenen Kirchturm aktiv handeln konnten. Die Folgen, u.a. mit noch mehr Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe, aber auch deutlich größeren ethnischen und Sicherheitsproblemen, werden noch bitter aufstoßen.

Ob es nun gefällt oder nicht: Lösungen für die schwerwiegende Krise des Ruhrgebietes wird es nur geben, wenn sich Grundlegendes auch im Selbstverständnis der Stadtteile der Metropole Ruhr verändert, und zwar nicht nur in den üblichen Sonntagsreden.

Die mit 172.000 Einwohnern weitaus größere Stadt Mülheim/Ruhr könnte womöglich die 1. Großstadt mit Sparkommissar werden.

Dabei müsste gerade Mülheim richtig gut dastehen, weil mit viel besseren Bedingungen ausgestattet als z.B. monostrukturierte Städte a la Herten.
Mülheim hat nämlich abgesehen von den Stadtfinanzen als Ruhrgebietsstadt weniger strukturelle Probleme als viele Nachbarstädte. Die Arbeitslosigkeit war stets vergleichsweise niedrig, die lokale Wirtschaft ist ausgesprochen robust und diversifiziert und das Durchschnittseinkommen liegt mit ca. 38.000 € sogar deutlich über dem NRW-Durchschnitt. Dennoch hat die kleine Großstadt inzwischen die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller NRW-Städte und hatte laut Bertelsmann-Studie im letzten Jahrzehnt das höchste Verschuldungstempo aller deutschen Großstädte. Noch viel gravierender aber ist: Mülheim ist als einzige Großstadt weit und breit seit Jahren auch bilanziell überschuldet mit dramatischen Zuwachsraten, hat also ein negatives(!) Eigenkapital. Misswirtschaft im großen Stil hat über 1 Jahrzehnt diese prekäre Situation herbei geführt, wobei das Land immer und immer wieder wegschaute, waren doch z.B. Ministerpräsidentin Kraft (SPD), Gesundheitsministerin Steffens (Grüne) und mit einem Teil seines Wahlkreises auch Justizminister Kutschaty (SPD) von vor Ort. Inzwischen werden über 1 Milliarde € Kassenkredite jährlich benötigt und bereits über 500 Mio. € beträgt alleine bereits die bilanzielle Überschuldung. Die „normale“ Gesamtverschuldung dürfte um die 2 Mrd. € betragen, wenn man die vielen ausgegliederten und z.T. teilprivatisierten städtischen Beteiligungsgesellschaften, meist GmbHs, mit berücksichtigt, die alle außerhalb des Kernhaushalts ihre Eigenleben als „Schattenhaushalte“ führen und nur in dem Gesamtzuschussbedarf für die Beteiligungsholding irgendwie indirekt vorkommen.
Weil alles bereits aus dem Ruder gelaufen war, nahm das Land Mülheim im Frühjahr, rein zufällig kurz vor den Landtagswahlen, dann doch noch in den Stärkungspakt auf, was vorher nach den gegebenen Kriterien wie hohe Steuereinnahmen, niedrige Arbeitslosigkeit usw. nicht möglich gewesen war. 160 Mio. „Hilfe“ soll die herunter gewirtschaftete Stadt dadurch in 5 Jahren erhalten, wofür sie aber selbst auch gewisse Sparbemühungen vorweisen soll. Und sofort zeigte sich das erste Problem. Nachdem der genehmigte Haushalt 2016 dennoch ein riesiger Schwindel war, musste der im Dez. 16 verabschiedete Haushalt 2017 erst einmal überhaupt auch auf dem Papier genehmigungsfähig gemacht werden, nachträglich! Ansonsten kann das Land die ersten 31 Mio. Stärkungspakt nicht auszahlen.
Obwohl das seit dem Frühjahr bekannt ist, passierte nichts bis zur Ratssitzung im Oktober.
Der Stadtrat aber war außerstande, selbst den im letzten Dez. mit Minimehrheit beschlossenen Etat für 2017 nachträglich mit Einsparungen, richtiger Gebührenerhöhungen, zu heilen, die Rot-Grün+Tuncer+1 Linke-Ratsfrau (der 2. Linke-Ratsherr war krank, hätte dem aber wohl nicht zugestimmt) mit beschlossen hatten, ohne sie zu kennen. Der folgende Haushalt 2018, der für den Stärkungspakt im Okt. hätte beschlossen werden müssen, ist somit bisher gänzlich ohne Grundlage und fand logischerweise nur noch bei den Grünen Zustimmung. In 12 Stunden Ratssitzung giftete man sich hauptsächlich gegenseitig an mit Schuldzuweisungen und Beleidigungen. Widerlich. Nun sitzen alle auf einem Scherbenhaufen und man wird sehen, was kommt.

DSparkommissarWelcomeas Desaster der jahrelangen geduldeten Mülheimer Misswirtschaft ist mit der offenkundigen Ratlosigkeit des Rates nicht mehr zu leugnen, aber auch nicht so einfach zu reparieren, wie Grüne und WAZ es vehement fordern. Die Abwendung des Sparkommissars durch einen erneut irgendwie hingetricksten Etat hilft auf Dauer niemand mehr! RP und neue Landesregierung werden schon darlegen müssen, wie sie mit der finanziell vor die Wand gefahrenen Stadt umzugehen gedenken, denn das Land haftet für seine Kommunen.

Süddeutsche Zeitung 3. November 2017, nachzulesen hier

Nordrhein-Westfalen Die Entmündigung

Eine Stadt wird unter Kuratel gestellt, ihr Haushalt von einer Landesbeamtin diktiert. In der Gemeinde Herten, einst Bergbau-Herzland, lässt sich mit Händen greifen, wie das Elend in Westdeutschland gärt.

Es ist ein Hoheitsakt im Halbdunkeln. Draußen ist die Sonne untergegangen über dem Ruhrgebiet, drinnen im holzvertäfelten Ratssaal von Herten herrscht eine gespenstische Atmosphäre: Fünf düster dreinblickende Personen haben vor der Stirnwand Platz genommen, einzig die orangenen Turnschuhe von Bürgermeister Fred Toplak, privat ein leidenschaftlicher Langstreckenläufer, leuchten. Um Punkt 17 Uhr beginnt die Sitzung. Aber Fred Toplak, dem Stadtoberhaupt, wird an diesem Tag kein einziges Wort über die Lippen kommen. Die meisten der 44 gewählten Stadtverordneten, die hier sonst an den zwei langen Tischreihen sitzen, hocken oben auf der Empore. Als Zuschauer, zum Schweigen verdammt. Reden darf an diesem Donnerstag nur Astrid Berlth. Die 34 Jahre alte Frau verkörpert die Staatsmacht – und sorgt nun für das, was das Land Nordrhein-Westfalen für Ordnung hält. Als „Beauftragte der Landesregierung“, so klärt die Juristin auf, „ersetze ich heute den Rat der Stadt Herten.“ Berlth liest vom Blatt, zitiert Paragrafen, nennt Zahlen – und streicht dann der 60 000 Einwohner starken Gemeinde per amtlicher Verkündung fünf Millionen Euro aus der Haushaltsplanung.  Gesagt, gekürzt. Nach nicht einmal vier Minuten ist das Schauspiel vorbei, und die Stadt Herten ist um 5 000 000,00 Euro ärmer. Beim Herausgehen fragt die Lokalreporterin den Bürgermeister kurz, „ob’s wehgetan hat“. Toplak ringt sich ein Lächeln ab. „Nein, nein“, versichert er, „ich bin ja nicht der Verursacher.“ Später, beim Gespräch in seinem Amtszimmer, wird er schimpfen, „dass das, was hier passiert ist, mit Demokratie nichts zu tun hat.“

Herten, mit drei Zechen einst Europas größte Bergbaustadt, hat nach Deutung der Landesregierung gegen den sogenannten „Stärkungspakt“ verstoßen. …………… Fast ein Jahr lang musste Herten allerlei „nicht unaufschiebbaren Ausgaben“ auf Eis legen: Die Feuerwehr bekam keine neuen Ruheräume, die Kicker der Spielvereinigung Herten keine Umkleiden, zwei Kinderspielplätze wurden bislang nicht saniert. Auch 2019 und 2020 bleibt es klamm, weil die Landesregierung – per Ukas ihrer Rotstift-Beauftragten Berlth – fünf Millionen Euro strich.

Herten wehrt sich, seine fünf Millionen verlangt Toplak zurück. Er will vor Gericht ziehen und das Land verklKaputtsparschweinagen. ………….. Der Staat verlangt, dass die Eltern knapp ein Fünftel der Kindergartenkosten zahlen. Nur, wie soll Toplak das einer Bevölkerung abverlangen, in der jeder neunte arbeitslos ist? „Wir können noch so viel sparen“, sagt sein Kämmerer Matthias Steck, „wir kommen nicht gegen die steigenden Kosten an.“

Mehr zu Mülheim u.a. in

  • 27.10.17: „Etatchaos in Mülheim: RP und neue Landesregierung müssen Farbe bekennen!“ hier
  • 20.10.17: „Wenn die selbst erzeugte Haushaltskatastrophe die Verantwortlichen einholt …..“ hier
  • 17.10.17: „Chaos pur, in Mülheim a.d. Ruhr?! Bspl. Etatdesaster“ hier
  • 5.10.2010: „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny a.d. Ruhr? Rekordschulden durch Rekordsteuern ausgleichen? Ein Irrweg! Die MBI fordern: Ende von Verschwendung, Größenwahn und Dilettantismus!“ hier, nachzulesen auch als pdf-Datei (95 KB)
  • Links zu allen MBI-Etatreden der vergangenen Jahre hier