Kurzbericht von einem denkwürdigen Städtetag
von MBI-Fraktionssprecher L. Reinhard, Gastdelegierter der Stadt Mülheim in Frankfurt:
Vom 23 bis 25. April fand der 37. Deutsche Städtetag in Frankfurt/Main statt unter dem Motto „Europa stärken – für seine Bürgerinnen und Bürger, für seine Städte“
Ein zentrales Thema war die geplante EU-Richtlinie zur Wasserprivatisierung. Der Städtetag hat ohne Gegenstimme eindeutig gefordert, dass diese nicht in Kraft treten soll. Auch Frau Merkel, die eine lange Rede hielt, versprach, diesen Punkt zu überdenken. Bisher war die FDP in der Frage federführend für die Bundesregierung und für die Richtlinie.
Für „Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht! Wasser ist ein öffentliches Gut und keine Handelsware!“ sammelt die EBI (Europäische Bürgerinitiative) online bis Ende Okt. 2013 Unterschriften hier
Anfang Mai 2013 bereits hatte die EBI die letzte Hürde genommen, um die geplante EU-Richtlinie zur Wasserprivatisierung zu kippen. Luxemburg, Finnland und Litauen haben als sechstes bis achtes Land das Mindestquorum erreicht. Zuvor hatten Deutschland, Österreich, Belgien, Slowenien und die Slowakei bereits das Quorum erlangt. Die formalen Anforderungen für eine Anhörung durch die EU-Kommission – mindestens 1 Million Unterschriften europaweit und mindestens 7 Länder mit Mindestquorum (Anzahl der MdEP pro Land x 750) – sind erfüllt, denn bereits 1,4 Mio. haben online gezeichnet!
Der neue Präsident des Städtetags ist der Nürnberger OB Maly. Der machte sich in seiner Antrittsrede stark für die gesamte Daseinsvorsorge in kommunaler Hand. Er sprach nicht nur davon, dass die Städte endlich mehr Respekt für die Errungenschaften der kommunalen Daseinsvorsorge einfordern müssen, er erwähnte auch notwendige Hilfen für (Re)Kommunalisierung der Grundversorgung hier, aber auch in anderen EU-Ländern. Das sind schon völlig neue Töne nach jahrelangem Hochjubeln der von Liberalisierung und Privatisierung insbesondere durch die EU, aber auch durch die sie tragenden nationalen Regierungen.
Sicherlich bekommen viele Stadtväter und –mütter zu Recht Angst, dass ihre Kommunen bei weiterer Privatisierung der Daseinsvorsorge in Strudel hineingerissen werden könnten, die das Funktionieren beeinträchtigen könnte. Keine/r glaubt wohl mehr an die alten Heilsversprechen des Neoliberalismus, dass ein Privater alles besser, billiger und zuverlässiger macht als die Kommune selbst. Auch die Radikal-Privatisierung wie z.B. in Ungarn, Rumänien oder Bulgarien ist sehr abschreckend. In Bulgarien gab es zuletzt große Unruhen, weil ein Großteil der Bevölkerung z.B. die hohen Strompreise usw. an die privaten Firmen nicht mehr zahlen kann.
Ich selbst komme aus Mülheim/Ruhr.
In unserer Stadt ist bereits ein Großteil der Daseinsvorsorge teilprivatisiert: Die Ver- und Entsorgung wie Müllabfuhr und Straßenreinigung mit noch 51% Stadt, ebenso die Gas- und Fernwärmeversorgung, bei der Abwasserbeseitigung hat die Stadt noch 25%, die Stromkonzession wurde vorletztes Jahr lange vor Ablaufen der Konzession wieder ans RWE gegeben, 3 große Schulen, Feuerwehr, Medienhaus, das Restrathaus, Haus der Stadtgeschichte, Haus der Wirtschaft, um ein Haar das frisch sanierte Altenheim, geplant nun Kindergärten usw. alle mit PPP langfristig „rück“-angemietet und am schlimmsten:
Beim regionalen Wasserversorger RWW mit Sitz in Mülheim nur noch 10% von insgesamt 20% kommunalen Anteilen, 80% dagegen das RWE. Das RWW hat seine Tochter RWW bereits soweit „ausgeschlachtet“ wie nur möglich und zuletzt eine neue Preisstruktur eingeführt mit 50% Grundgebühr pro Haushalt. Da das RWE sich irrwitzig verschuldet hat (34 Milliarden € z.Zt.) wird es viele Töchter verkaufen zur Rettung der Mutter. Das RWW mit seinem für Private hochattraktivem neuen „System“preis ist da sicherlich ein wichtiges Pfund im RWE-Kalkül. Mehr auch in
- RWW rekommunalisieren! RWE raus aus dem Wassergeschäft, jetzt! hier
- Wasser als Menschenrecht und der neue RWW-Systempreis hier
Unabhängig davon, dass die Mülheimer OB als RWE-Aufsichtsrätin sehr deutlich die Interessen des Konzerns vertreten muss und vertritt, ist ihre fast vollständig durchprivatisierte Stadt derart finanziell hoffnungslos überverschuldet, so dass sie außerstande sein wird, das RWW zu rekommunalisieren.
Wegen dieser schwierigen Lagen in meiner Stadt habe ich beim Städtetag am Forum „Daseinsvorsorge in Europa – Vielfalt sichert Lebensqualität“ teilgenommen. Die Vertreterin aus Innsbruck berichtete, wie hervorragend die Kommune dort mit dem Riesenproblem der Altenbetreuung umgeht, rein kommunal! Der Vertreter aus Südtirol berichtete, dass dort anders als woanders in Italien die Daseinsvorsorge funktioniert und der holländische Vertreter berichtete ähnliches, wobei das anders organisiert ist. Auch die Bürgermeister aus Freiburg und Ulm konnten von funktionierender Daseinsvorsorge in kommunaler Hand berichten. 2 Europaabgeordnete versuchten, die EU-Politik ansatzweise zu verteidigen, außer der Wasserrichtlinie, die wollten sie möglichst noch verhindern oder abschwächen. Dabei hatte der Holländer viele EU-Vorschriften zuvor bereits zutreffend als „kriminogen“ bezeichnet, also nach seiner Definition als Gesetze und Vorschriften, die gemacht werden, damit sie nicht eingehalten bzw. gebrochen werden.
Nach den langen Vorträgen meldete ich mich zu Wort und schilderte die Lage in unserer Stadt bzgl. der Daseinsvorsorge, insbesondere bei Wasser. Auf meine Frage, warum die EU außerdem noch interkommunale Zusammenarbeit erschweren will wurde aber genauso wenig eingegangen wie auf das Wasserproblem. Auch die Anmerkungen eines der Düsseldorfer Kollegen, der die EU-Vorschriften zur ÖPNV-Ausschreibung als nachteilig für Kommunen kritisierte, gingen im Redeschwall der Europa-Abgeordneten völlig unter.
Man sieht insgesamt auch an dem Forum, dass die Epoche der hemmungslosen Privatisierung im EU-Kontext von den Städten nicht weiter mitgetragen wird. Es war auch kein Zufall, dass an den Infoständen der „Sponsoren“ des Städtetags dieses Mal mit Remondis nur noch eine Firma dafür warb, in dem Falle für PPP. Anders als bei den Städtetagen zuvor keine Beraterfirmen, Anwaltsbüros etc. mehr zu diesem zentralen Bereich für die Städte. Auch nicht die bei früheren Städtetagen unvermeidliche Frau Dr. Jasper! Mehr zu dieser Spitzenfrau für Privatisierung jeder Art u.a. in
-
„Frau Dr. Jasper und das dreamteam mit Dr. J.B. oder: Der lange Schatten der Mülheimer Episode“ hier
Am Rande: Der scheidende Präsident Uhde ließ über das neue Präsidium abstimmen. Bei den Stellvertreter/innen hatte er doch glatt eine ausgelassen, die wiedergewählt werden sollte: Frau Mühlenfeld aus Mülheim/Ruhr. So musste er extra für sie nachträglich noch einmal abstimmen lassen. Na denn, dabei wird er womöglich nicht einmal gewusst haben, dass sie in der Presse vor Ort durchaus zwar die Linie des Städtetags vertritt gegen Wasserprivatisierung, aber unterschlägt, dass dies in ihrer Stadt längst Realität ist. Sie verkündet dann „lustig“, dass die Privatisierung des Menschenrechts auf Wasser dieses zum Renditeobjekt machen könne, was auch die Qualität bedrohe, was wir in Mülheim auf keinen Fall wollen!
Deshalb war der Lapsus des Herrn Uhde aus Mülheimer Sicht auch ein Schmunzeln wert, ganz so als habe der Gott des Wassers dem Müncher OB sein Blatt genau bei der leicht scheinheiligen Mölmschen OB so verwässert, dass sie unlesbar war.
Unabhängig davon ist es bedenklich, dass im 10-köpfigen Präsidium des Städtetages kein OB der großen NRW-Städte vertreten ist, weder Köln, noch Dortmund, Essen oder Duisburg. Frau Mühlenfeld kann zwar weiterhin die Frauenquote verbessern, doch ist nicht zu erwarten, dass sie den krisengeschüttelten Ruhrgebietsstädten die dringend notwendige Beachtung verschafft.
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- “Mülheim oder das große Schweigen” – WDR-Feature zu den unglaublichen Privatisierungsgeschichten unter Baganz und Mühlenfeld als pdf-Datei (375 KB)
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