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Wege aus dem ruinösen Wettkampf der Ruhrgebiet-Cities

Die MBI verschickten am 5.2.16 den Link zu folgendem interessanten Artikel von A. Voss

  • Dritte Altstadtkonferenz in Recklinghausen – oder der ruinöse Wettkampf der Ruhr-Citys, nachzulesen hier auf  RUHRBARONE, 4.2.16

Daraufhin meldete sich Michael Schulze aus Duisburg. Er schrieb:
„… habe den Artikel zu Recklinghausen aufmerksam gelesen. Wenn Sie möchten kann ich Ihnen mal einen Artikel zu einem Zukunftsszenario des Einzelhandels im Ruhrgebiet senden, den ich ähnlich als Fachvortrag Ende letzten Jahres gehalten habe. Sie müssen wissen, dass ich als Berater schon 30 Jahre industrieseitig (Lieferanten) und handelsseitig (EH (Retail) und GH) tätig bin und die Entwicklung der Ruhr-Städte aufmerksam verfolge – für mich und meine Kunden, darunter einige echte Schwergewichte. Diesen Artikel können Sie dann gerne veröffentlichen. „

Im folgenden sein Artikel in Form der wesentlichen TOPs des Vortrags, der eine Abwandlung darstellt, da das Original im Auftrag geschrieben worden war und es fremdbezahlt wurde. Inhaltlich ist er jedoch identisch und bei Urhebernennung frei verwendbar. Die meisten Punkte stimmen übrigens mit dem überein, was auch die MBI seit Jahren fordern.

Grundsätzlich geht es um die Zukunftseinschätzung investorenseitig und nicht die von Einzelhändlern oder den Stadtverwaltungen und Wirtschaftsförderern.

Mit Investoren sind weitestgehend große Immobilieninhaber, Geldgeber für Anlageobjekte, große Betreiber von EH-Immobilien usw. gemeint. Diese kommen zu 2/3 aus dem Inland und 1/3 aus dem Ausland, oft mit deutschen Ablegern bzw. Dependancen.

Grundsätzlich gibt es 13 markante Punkte, die die Tendenzen und Erwartungen aufzeigen. Über diese gibt es unisono Einigkeit. Das wird öffentlich allerdings weniger direkt geäußert.

  1. Das Ruhrgebiet zwischen Dortmund und Duisburg ist im Niedergang begriffen, gekennzeichnet u.a. durch fehlende Jobs und Abwanderung in Zukunftsindustrie-Regionen, durch sinkende Kaufkraft, hohe Migrationsdichte und Miss-Integration (Ghettoisierung, NoGoAreas, Neonazis, Rockerbanden).
    Es gibt keine Ruhrgebietsstadt von überregionaler Bedeutung. Und es gibt keine Stadt, die eine eindeutige Bedeutung hat – vielleicht Essen als Einkaufsstadt. Die Wohn-Konzentration in den großen Innenstädten wird zunehmen, also wahrscheinlich Dortmund, Essen, Duisburg, Bochum.
    Die anderen Städte verlieren an diese vier Städte an der Ruhr oder an den Süden (Rheinland, Bayern, BW)
  2. Die Idee der Metropole Ruhr ging und geht bisher nicht auf, wohl wegen der „Kleinstädterei“, dagegen gewinnt die Idee(?!) „RheinRuhr“ wieder an Bedeutung, z.B. durch den Rhein-Ruhr-Express ab 2018, was eher dem Rheinland Aufmerksamkeit, Arbeitnehmer und Kunden zuführen wird als umgekehrt. Wachsende Metropolen sind Düsseldorf und Köln., Bonn wird profitieren, auch wegen seiner Vorgeschichte als ehemalige Hauptstadt und der Nähe zum Flughafen Köln/Bonn.
  3. Das „überkulturierte“ Ruhrgebiet konnte die Lücken industrieller Abwanderung bisher nicht wettmachen. Niemand kommt wegen kultureller Angebote als primärem Wirtschaftsstandort-Faktor, wichtiger sind zukunfsträchtige Firmen (möglichst Industriefirmen mit ihren Zulieferern und Dienstleistern), Arbeitsplätze und damit einhergehend auch Kaufkraft.
  4. Die Laden-Leerstände in den Ruhr-Städten sind jetzt schon äußerst hoch und werden weiter ansteigen. Nur echte 1A-Lagen sind noch an den Einzelhandel vermietbar. Städte, denen im Ruhrgebiet noch etwas zugetraut wird, sind Essen und Dortmund, vielleicht noch Duisburg und eventuell auch noch Bochum.
  5. Der Filialisierungsgrad in den Cities hat teilweise schon 70% erreicht. Selbst in Einkaufszentren, die als gut gemanaged gelten, weil i.d.R. alle an einem Strang ziehen (Öffnungszeiten, Parkplätze etc.), gibt es Mieter, die weit unter üblichen Konditionen anmieten (können), teils keine NK zahlen oder nur Pauschalen. Die 30% selbständige Einzelhändler ohne Filial- oder Franchiseanbindung zahlen die Zechen.
  6. Viele große Magnet-Filialisten können die Vermieter inzwischen fast „nötigen“, auch mit dem Argument, dann lieber gar nicht anzumieten, weil online eh besser ist. Oder man erhält großzügige Wirtschaftsförderung bei nur geringen Gegenzusagen – „Hauptsache es bewegt sich was“ – Nachhaltigkeit (Dauer-Vollzeitarbeitsplätze) bleibt meist äußerst zweifelhaft.
  7. Werbegemeinschaften und City-Marketing-Gemeinschaften dünnen zunehmend aus. Filialisten sind so gut wie nie „echte“ Mitglieder oder wenn, zahlen Sie niemals die ihrer Größe entsprechenden Mitgliedsbeiträge.
  8. Werbe-Aktionen in den Cities verkommen oft zu bemitleidenswerten Versuchen Kunden anzulocken oder sind nur ein Mischmasch von billigen Fressen und Saufen und ein wenig Haut. Hier mal ein Weinfest, da mal eine Modenschau, aber alles eher stümperhaft und ohne erkennbare Linie geschweige denn Stadtmarketing. Grund: Kein Geld, keine Bereitschaft zur Investition oder zum Mitmachen – Anzeichen der Selbstaufgabe.
  9. Internet und Digitalisierung machen dem stationären Handel schwer zu schaffen und verhindern oftmals Neuansiedlungen, da sich diese nicht mehr lohnen. Investionen in MultiChannel-Strategien (off- UND online) können wegen fehlender Umsätze und Renditen nicht getätigt werden. Viele kleine und mittlere Händler haben noch nicht einmal eine funktionierende, verkaufende Webseite, geschweige denn eine smartphone-taugliche.
  10. Familiäre Geschäftsnachfolger finden sich oft nicht. Diese eröffnen lieber Online-Shops oder machen ganz was anderes.
  11. Echtes Kundenservice-Handeln sind im klassischen Einzelhandel wenig bis gar nicht ausgeprägt, es überwiegt meistens die preisliche Verramschung bis nichts mehr geht. Sales bis 70/80/90% sind keine Seltenheit.
  12. Die 1A-Lagen in Nebenzentren wie Oberhausen, Mülheim, Gelsenkirchen, usw. verkommen oft zu einem Sammelsurium von Billigläden, Selbstbackläden, Handyshops usw., deren Frachisenehmer wechseln wie die Staffeln beim 4x100m-Lauf.
  13. Die Idee der Dienstleistungszukunft ist zweischneidig. Meint man damit die B2B-Dienstleister, so brauchen diese industrielle Auftraggeber, nicht zuletzt aus der Stadt oder Region selbst.
    B2C-Dienstleister brauchen dagegen eine entsprechend kaufkräftige Endverbraucher-Kundschaft. Diese ist jedoch im Ruhrgebiet nicht vorhanden. Menschen, die abwandern, sind meist auch die besser Gebildeten und besser Verdienenden. Ein Teufelskreis.

Lösungsideen:

  1. Ende von Kleinstädterei und Kirchtumdenken mit 53 Wirtschaftsförderungen, Konzentration auf eine zentrale Wirtschaftsförderung. Sonst wird weiter eher gegeneinander als miteinander gearbeitet.
  2. Vermarktung jeder einzelnen Stadt mit einem einzigartigen, fokussierten (Verkaufs)versprechen (USP).
  3. Weg von der Kulturförderung hin zur Technologieförderung: HighSpeed-Netz, E-Mobility und ÖPNV, neue Formen der Waren-Logistik(Untergrund- oder Schwebebahn), Bildungsförderung (besonders MINT)

Anmerkung zu 2.): Bereits vor etlichen Jahren hatte ich zum Beispiel für Mülheim den Begriff „Gesundheitsstadt – Wellness (Health)-City“ vorgeschlagen. Darunter war die Konzentration aller Kräfte auf die Entwicklung zum „Gesundheitsstandort an der Ruhr“ subsummiert. Die Nähe zum Airport D`dorf sollte für den Kontakt zum Ausland dienen. Einfliegen von Patienten, Gesundheits- und Wellnesstouristen.
Stattdessen wurde auf Einkaufen gesetzt, was zu dem desaströsen Ergebnis von heute geführt hat, mit einem Hafen, der seinen Namen wohl eher nicht verdient hat.

Weitere mögliche positive Stadt-USPs könnten sein:
Einkaufsstadt – Shopping City – Essen
Hightechstadt – Hightech City – Dortmund
Bildungsstadt – Education City – Bochum
BioTech-Stadt – BioTech City – Gelsenkirchen
Logistikstadt – Logistic City – Duisburg

Das soll nicht ausschließen, daß in den jeweils anderen Städten alles andere „abgeschafft“ werden soll, aber der Fokus der Förderung soll sich jeweils konzentrieren. Ohne Ansiedlung von Zukunftsarbeitgebern sieht`s düster aus.
Der klassische Einzelhandel wie bisher (Laden auf – Kunde kauf) wird es in keiner Stadt noch schaffen. Diese Zeiten sind endgültig vorbei.

Zusatzkommentar:
Man wird – so meine persönlichen Erfahrungen- das Kirchturmdenken nicht ganz aus den Stadtleuten rauskriegen. Deshalb wäre eine zentral mitgelenkte Selbstvermarktung pro Stadt konstruktiver als gar nichts zu tun. Im Prinzip ist die Stadtdenke gar nicht schlecht, wenn sie zur Stärke führt: all business is local. Und es gilt jeweils, die örtliche Stärke herauszuarbeiten. Der klassische Einzelhandel wird es in den wenigsten Fällen sein, wie bereits beschrieben, nur Essen traue ich das umfassend zu.
Durch die Zentralvermarktung gäbe es bei Ansiedlungsanfragen kein Gezänk, weil klar ist, wo für Neuan- und Umsiedlungen an der Ruhr der beste Standort ist.
Das Problem des zerstrittenen jetzigen ÖPNV wird sich eventuell von selbst erledigen. Er wird Konkurrenz bekommen durch Carsharing, wahrscheinlich auch durch ganz neue Betreiber wie Uber oder auch vielleicht  Amazon, warum nicht Fernbusse auch regional/lokal einsetzen auf sogenannten Hauptrouten (Dortmund-Köln).
Manche Stadt könnte auch in der City zur reinen Wohnstadt werden, wenn sich kein Wirtschaftsthema findet, was stark genug ist. Nur der nötigste Einzelhandel ist dann vorhanden. Der Rest erfolgt über Lieferdienste, die ja schon da sind: Taxen. Und die könnten Menschen und Waren transportieren.
Überlegen Sie mal, wie heute schon Taxen rumstehen und Leerfahrten machen. Optimale Dispatcher-Software könnte Abhilfe schaffen. Machen die Taxifirmen das nicht mit, wird es ein anderer machen. So wie in allen anderen Problemfällen auch.
Das Ruhrgebiet hat nämlich auch entscheidende Vorteile, die aber nicht wirklich vermarktet werden. Die Konzentration von vielen auf wenig Raum. Das macht eine Belieferung zwar schwierig (Stau), aber auch sehr interessant.
Jeder Händler, der liefert, kann ja rechnen: Ist es besser, 5 Mio. Menschen auf dem Land in einem riesigem Gebiet ohne Staus zu beliefern oder andersherum?
Beachten Sie, dass hier nicht von den jetzigen Liefertechniken ausgegangen werden sollte. Vorstellbar wären z.B. Abholstationen in der U-Bahn: Die U-Bahn als Warentransportmittel! Einfach mal in die Schweiz gucken!

Michael Schulze, Marketing Service, Duisburg, 5.2.2016

Zum Thema u.a.

  • Juni 15: Innenstadtkrise ffff. größtenteilsSchlimmcity2a selbst gemacht? Mülheim, der „trading down effect“ und die Uneinsichtigkeit der Verantwortlichen! hier
  • Interview Ende Juli 2011 in WAZ+NRZ mit Helge Schneider zu seiner Heimatstadt Mülheim: Überschrift „Die sind bekloppt – Sein Befund über die Innenstadt: Die ist tot“ hier
  • Die MBI fragten damals im Juli 11: “Ist Mülheim noch zu retten?” hier
  • Mai 15: Zusammenbruch des Luftschlosses für die Ruhrbania-Baufelder 3+4 hier
  • Mai 15: Ein besseres Parkkonzept zur Revitalisierung der Innenstadt hier
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  • April 14: Parkkonzept(losigkeit) in Mülheim: Dringender Handlungsbedarf im Sinne der “alten” MBI-Forderungen! hier
  • April 14: Baustellen-Irrsinn: Lasst die Hochstr. Tourainer Ring stehen! hier
  • März 14: Verkehrs”konzept” fatal bis lethal? Hochstr. Tourainer Ring stehen lassen, um die Innenstadt nicht noch mehr zu schwächen! hier
  • Feb. 14: Mülheimer Drunter und Drüber beim Rettungsversuch für Ruhrbania und Hoffmeister? hier
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  • April 12: Chaoscity mit Ruhr hier
  • März 12: Hilfe für die Mölmsche Innenstadt durch Charrette? hier
  • März 12: Innenstadthyperkrise größtenteils selbstgemacht?! hier
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